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Wuestentochter

Wuestentochter

Titel: Wuestentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bryant
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für uns, und unser Verhältnis verbessert sich dadurch wieder.« Sie brach ab und schüttelte den Kopf. »Du wirst bald selber Kinder haben, und dann wirst du meine Hilfe nötiger brauchen als je zuvor.«
    Vor Khalidah entstand plötzlich das Bild einer langen Reihe kleiner Jungen, die mit kalten Reptilienaugen zu ihr auf blickten. Um ihr Entsetzen zu verbergen, drehte sie sich zum Zelteingang um. »Hörst du das?«
    Jemand hatte begonnen, eine tabla zu schlagen. Dann fiel eine  ma’ay ein, und im nächsten Moment erklang eine mitreißende Melodie, schwoll an und stieg in die Höhe wie ein Seevogel, der sich gen Himmel erhebt. Sie hatte schon ein- oder zweimal gehört, wie jemand die qanun spielte, aber noch nie mit solcher Perfektion.
    »Du stehst ja immer noch im Hemd da«, mahnte Zeyneb sie scharf.
    Khalidah schrak zusammen und ließ die Zeltklappe, die sie gerade hatte anheben wollen, wieder fallen. »Entschuldige. Es ist nur diese Musik …«
    Zeyneb nickte verständnisvoll. »Dann zieh dein Kleid an, und dann kannst du hinübergehen und dem Spielmann zuhören.«
    Erst jetzt bemerkte Khalidah das auf ihrem Bett ausgebreitete Gewand. Es war aus blutroter Seide und an den Säumen reich mit Zeynebs kunstvoller bunter Stickerei verziert; ihren üblichen Blumen- und Tiermustern, als solche nur verschwommen zu erkennen, damit sie nicht der Götzenanbeterei bezichtigt werden konnte. Zeyneb musste lange daran gearbeitet haben; das Kleid war zweifellos für einen glücklicheren Anlass als diesen gedacht gewesen. Tränen brannten in Khalidahs Augen, als sie den weichen Stoff berührte.
    »Wenigstens heiratest du nicht in Lumpen.« Zeyneb gab vor, nichts zu bemerken. »Wir können noch mehr anfertigen, wenn du …«
    Sie brach ab und begann, Khalidah in das Kleid zu helfen. Sowie sie damit fertig war, traten die beiden Frauen ins Freie. Innerhalb einer halben Stunde hatte sich das Lager verwandelt. Die Nacht war hereingebrochen, ein voller Mond über den Sandsteinhügeln aufgegangen. Das Lager selbst wurde von Feuern und Laternen erleuchtet, gegen die das Funkeln der Sterne verblasste. Trotz des kühlen Abends war die Klappe des Scheichzelts hochgerollt, und Menschen strömten aus dem bunten Inneren in den Schatten hinaus.
    Gefolgt von Zeyneb bahnte sich Khalidah einen Weg durch die Menge und steuerte auf die Quelle der wunderbaren Musik zu. Man machte ihr ehrerbietig Platz und wünschte ihr Glück. Sie sah sowohl Männer als auch Frauen, was ungewöhnlich war, denn normalerweise wurde die Hennanacht nach Geschlechtern getrennt zelebriert. Aber dann erinnerte sie sich, dass nichts an dieser Hochzeit so war, wie es sein sollte. Nun, am nächsten Morgen würde das ohnehin keine Rolle mehr spielen.
    Im majlis saß eine Gruppe von Frauen in einem engen Kreis an der Stallwand. Es waren Frauen, die Khalidah ihr ganzes Leben lang gekannt hatte, doch jetzt haftete ihrem Lächeln etwas Gezwungenes an, und glühende Scham stieg in ihr auf, weil sie wusste, was sie alle dachten. Sulayman blickte von seiner qanun auf. Einen Moment lang kreuzten sich ihre Blicke, dann starrte er wieder auf das glitzernde Plektron in seiner Hand hinab. Numair beobachtete sie mit Raubvogelaugen, Bilal saß mürrisch im Schatten. Ihr Vater und ihr Onkel waren in ein Gespräch vertieft und nahmen keine Notiz von ihr.
    Als Khalidah von einem zum anderen blickte, überkam sie eine seltsame Benommenheit. Wohl wissend, dass eine Ohnmacht den allgemeinen Verdacht nur schüren würde, begrüßte sie die Männer rasch und setzte sich dann zu den Frauen. Sie hörte kaum hin, als  diese begannen, in den traditonellen alten Liedern ihre Schönheit und ihre Tugenden zu besingen. Sie hielt Zeyneb gehorsam die Hand hin und starrte blicklos ins Leere, während die Amme Eukalyptusund Olivenöl auftrug und mit Hennapaste kunstvolle Muster auf ihre Haut zu malen begann. Khalidah hatte schon an vielen Hennazeremonien teilgenommen, und normalerweise zappelte sie so lange herum, bis der unglückliche Künstler sie mit halb fertigen Mustern und der Ermahnung fortschickte, die Paste nicht zu berühren, bevor sie trocken war (was sie unweigerlich ignorierte). Jetzt bewog Khalidahs Ruhe Zeyneb dazu, sie mehrmals zu fragen, ob sie sich nicht wohl fühlte.
    Das fragte sich Khalidah insgeheim selbst. Die Benommenheit war einem Gefühl der Unwirklichkeit gewichen; sie kam sich vor, als trenne sie ein feiner Schleier von dem Rest der Welt. Wie in einem Traum gefangen sah sie zu,

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