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Wuestentochter

Wuestentochter

Titel: Wuestentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bryant
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zuhörten, stiegen nebelhafte Erinnerungen in ihnen auf, als hätten sie mit Leila geweint oder sich wie Majnun unter wilden Tieren wiedergefunden. Endlich war es vorüber. Khalidah verstummte, während die letzten Töne in die Nacht hinauswehten und im Wind verklangen. Einen Moment lang rührte sich niemand, und außer dem Nachhall von Khalidahs Lied war kein Laut zu hören. Einige Frauen weinten stumm, ohne es zu merken.  Dann setzte Gemurmel und Geraune ein, und Khalidah versuchte, nicht auf die merkwürdigen Blicke zu achten, die sie hier und da trafen; eine Mischung aus Ehrfurcht und Furcht.
    »Wundervoll!«, röhrte Abd al-Hadi. »Deine Khalidah ist wahrlich ein Juwel unter den Frauen - eh, Numair?«
    Er stieß seinen Sohn an. Numair sah auf. Seine Augen glichen Höhlen in einem Sandsteingesicht. »In der Tat«, bestätigte er. »Eine so außergewöhnliche Stimme wirft die Frage auf, ob an den Gerüchten über ihre Mutter etwas Wahres daran ist.« Er musterte Khalidah mit undurchdringlicher Miene, dann lächelte er. Abd al-Hadi lachte erneut zu laut, und Abd al-Aziz nippte an seinem Becher, um seinen Gesichtsausdruck zu verbergen, den sich Khalidah nur allzu gut vorstellen konnte.
    Khalidah selbst fühlte sich abgrundtief erschöpft. Wenn sie nicht gewusst hätte, dass es unmöglich war, hätte sie gemeint, Leila auf jedem Schritt ihres tragischen Weges begleitet zu haben. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie sie sogar vor sich sehen: zierlich, zartknochig und unauffällig bis auf ihre Augen, die so groß, dunkel und unergründlich waren wie der Nachthimmel über ihnen. Ein Schwindel erfasste sie, und die Welt ringsum drohte dunkel zu werden. Sie musste von hier fliehen; fort von diesem fragwürdigen Fest, den doppeldeutigen Blicken, den Illusionen, die das flackernde Laternenlicht herauf beschwor. Erst als sich Zeynebs Arm kräftig und warm um sie legte, wurde ihr bewusst, dass sie zitterte. In diesem Moment wäre sie beinahe in Tränen ausgebrochen, was Zeyneb zu spüren schien.
    »Ihr müsst Khalidah entschuldigen«, wandte sie sich an die Männer. »Für sie war es ein langer, anstrengender Tag …« Unverkennbare Ironie schwang in ihrer Stimme mit. »Sie braucht jetzt Ruhe.«
    Khalidah erhob sich schwerfällig, und ihre Amme führte sie, nachdem der Scheich sie entlassen hatte, aus dem majlis in ihre eigene Unterkunft zurück.
     

4
    Der Rückweg zum maharama schien kein Ende nehmen zu wollen, obgleich sie nur wenige Schritte zurücklegen mussten. Endlich langten sie dort an, und Zeyneb ließ die ghata hinunter. Khalidah sank dankbar auf ihr Bett, legte ihr Kopftuch und die Juwelen ab und schob sie zur Seite, dann begann sie ihre Schärpe zu lösen.
    »Lass mich das tun«, bat Zeyneb.
    Khalidah schüttelte den Kopf. »Ich bin doch kein Kind mehr.«
    Es kam ihr so vor, als gäbe es vieles, was Zeyneb ihr gerne gesagt hätte, aber sie sah nur beinah hilflos zu, wie sich Khalidah entkleidete, ihr Haar kämmte und unter ihre Bettdecke kroch. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie keine Ahnung hatte, wann es an der Zeit war, Sulayman zu treffen. Ihre Furcht schlug in Panik um. Schließlich hatte sie keinen Grund, ihm zu vertrauen; keinen Grund, überhaupt noch jemandem zu trauen … und doch erkannte sie zugleich mit wachsender Klarheit, dass sie nicht länger dableiben durfte.
    Seufzend rollte sie sich auf die Seite. Der Docht der Hängelampe war heruntergedreht. Zeyneb in ihrem Bett auf der anderen Seite des Raumes hob sich als dunkler Schatten von der Zeltwand ab, ihre offenen Augen glommen leicht im Dämmerlicht. »Du denkst an den jungen Mann mit der qanun«, stellte sie weich fest.
    Wieder fragte sich Khalidah, ob Zeyneb irgendwie von ihrem Plan erfahren haben konnte, dann begriff sie, dass die ältere Frau ganz anders geartete Schlussfolgerungen gezogen hatte. »Warum sollte ich an ihn denken?«, gab sie zurück.
    »Ich habe gesehen, wie du ihn angeschaut hast, Khalidah.«
    »Es war nicht so, wie du denkst, Zeyneb …« Khalidah erwog mehrere Lügen, zu denen sie rasch greifen konnte, verwarf sie am Ende aber alle und entschied sich für die Wahrheit. »Was ich zu meinem  Vater gesagt habe, traf zu. Als der Mann angefangen hat zu spielen, habe ich meine Mutter gesehen. Ich sah sie - es war nicht einfach nur eine Erinnerung oder ein Trugbild.«
    Zeyneb erwiderte nichts darauf. Khalidah lauschte dem gutturalen Dröhnen der Trommeln und dem Trillern der Binsenflöte, die anscheinend den Platz von

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