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Wuestentochter

Wuestentochter

Titel: Wuestentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bryant
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Sulaymans qanun eingenommen hatte. Der filigrane Deckel der Laterne warf zarte goldene Muster auf das dunkle Tuch des Daches, die wellenförmig darüber hinwegglitten, wenn das Zelt leise im Wind schwankte.
    Endlich flüsterte Zeyneb: »Ich hatte keine Ahnung, dass du dich noch an sie erinnerst.«
    Khalidah seufzte. »Ich auch nicht. Aber die Frau, die ich vorhin gesehen habe … ich hätte sie überall erkannt.«
    Wieder schwieg Zeyneb eine Weile, dann erwiderte sie bedächtig: »Vermutlich ist es gar kein so sonderbarer Zufall, dass die Musik des Mannes mit der qanun sie zurückgebracht hat. Auch deine Mutter spielte dieses Instrument.«
    Ein Bild flammte vor ihr auf: weißer Stoff und goldene Augen, leise, süße Klänge … Khalidah saß auf einer hohen Düne und blickte über ein endloses Sandmeer hinweg. Eine weiß gekleidete Frau saß neben ihr. Ihr Kopftuch war verrutscht und gab vier dunkle Haarzöpfe frei, in denen rote Glanzlichter tanzten wie Feuer an einem nächtlichen Horizont. Sie hielt eine qanun auf dem Schoß, spielte aber nicht darauf. Der Wind fuhr über die Saiten hinweg, entlockte ihnen leise Töne und trug sie mit sich fort.
    »Sie hat mich mitgenommen«, sagte Khalidah nahezu unhörbar. »Aus dem Lager in die Wüste hinaus.«
    »Das stimmt«, bestätigte Zeyneb. »Obwohl ich mich wundere, dass du dich noch daran erinnerst. Du konntest damals noch kaum laufen. Brekhna sehnte sich immer nach weiten, offenen Flächen und Einsamkeit. Sie hat das Leben im Lager immer verabscheut, es aber um  deines Vaters willen und deinetwegen ertragen. Was ist dir sonst noch im Gedächtnis geblieben?«
    »Nicht viel. Ein Gefühl … ein Blick. Die Farbe ihres Haares. Es wirkte schwarz, aber wenn die Sonne darauf fiel, glich es dem Fell eines dunklen Rotfuchses. Die Art, wie sie gelächelt hat … als wolle sie etwas hinter diesem Lächeln verbergen, was immer auch dahinter auf blitzte. Und dann war sie plötzlich fort. Ich weinte, ich rief nach ihr, aber sie kam nicht. Statt dessen kamst du in unser Zelt, und nach einer Weile hörte ich auf, sie so furchtbar zu vermissen. Ich vergaß ihr Gesicht … zumindest dachte ich das.«
    »Sie war ein gefangener Vogel«, entgegnete Zeyneb in einem eigenartig träumerischen Ton. »Dein Vater ist ein guter Mann und ein guter Stammesführer, aber - möge Allah mir meine Kühnheit vergeben - deine Mutter hätte ihn nie heiraten dürfen. Sie konnte nicht so zu ihm gehören, wie eine Frau ihrem Mann angehören muss. Ich sah das sofort, so wie sie es gesehen haben muss …« Sie brach ab, und Khalidah fragte sich, welche Worte sie wohl gerade noch rechtzeitig unterdrückt hatte. Doch da sprach Zeyneb schon weiter. »Sie konnte die Lebensweise ihres Volkes nicht vergessen.« Ihre Stimme klang noch weicher als zuvor. »Und obwohl sie es nie gesagt hat, habe ich immer den Eindruck gehabt, sie hätte einst einen anderen geliebt.« Zeyneb seufzte. »Aber wir sind Frauen. Unsere Gefühle zählen in der Welt der Männer nicht. Du und Brekhna und ich, wir sind alle gleich, nur dass sie am Ende die Kraft fand, der Wahrheit ins Auge zu blicken. Deswegen ist sie gegangen. Vielleicht floss doch Dschinn-Blut in ihren Adern.«
    Zeynebs Worte verklangen in schlaftrunkener Stille, doch Khalidah war mit einem Schlag hellwach. »Sie ist gegangen?«, flüsterte sie. »Was soll das heißen?«
    Zeyneb gab keine Antwort.
    »Meine Mutter ist gestorben!«
    Zeynebs einzige Reaktion darauf bestand in einem Schnarchen. Erst jetzt fiel Khalidah auf, dass im ganzen Lager Stille eingetreten war. Viel zu früh: Eine Hennanacht dauerte oft bis zum Morgengrauen, und als sie das majlis verlassen hatte, hatte es noch so ausgesehen, als würde dies auch diesmal der Fall sein. Khalidah schlüpfte in ein schlichtes Wollkleid, schlang sich einen Schal um den Kopf und hob dann die ghata.
    Im flackernden Schein der Feuer lagen Menschen zusammengerollt auf dem Boden. Sie schlich ins Freie und stieß die erste reglose Gestalt, die sie sah, vorsichtig mit dem Fuß an. Es handelte sich um eine Frau, eine dicke Klatschbase namens Rusa. Rusa murmelte etwas Unverständliches und schlief dann weiter. In der Hand hielt sie einen Becher, in dem ein Rest Wein zurückgeblieben war. Khalidah entwand ihn ihr und kostete einen Tropfen. Der bittersüße Geschmack von Mohnsaft brannte schwach, aber dank eines langwierigen Hustens in ihrer Kindheit unverkennbar auf ihrer Zunge.
    Sie blickte immer noch auf Rusa hinab und grübelte

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