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Wuestentochter

Wuestentochter

Titel: Wuestentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bryant
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Prophet im Sinne Jesu Christi oder eures Mohammed, auf denen eine ganze Religion basiert, sondern eine weltlichere, aber dennoch unverzichtbare Version davon - sozusagen Orakel und Priester in einer Person. Ein betaan spricht mit den Geistern, die wiederum mit ihren Göttern sprechen, also ist er in gewissem Sinne die Stimme der Götter.«
    Tor Gul Khan hielt inne, weil er zu ahnen schien, dass Khalidah etwas Zeit brauchte, um seine Worte zu verarbeiten. Dann fuhr er fort: »Zurzeit ist ein Mann namens Alipsha unser betaan. Er lebt auf der Hochweide, wo unsere Herden im Sommer grasen, weil er dort seinen Geist rein erhalten kann. Ich gehe zu ihm, wenn ich seinen Rat benötige, und noch seltener kommt er mit Botschaften oder Warnungen zu mir. Am Vorabend meiner Hochzeit mit deiner Großmutter zum Beispiel prophezeite er mir, dass ich keinen Sohn haben und Mobarak Khans Erbe nach meinem Tod auf eine Frau übergehen würde. Natürlich ging ich nach Brekhnas Geburt davon aus, dass sie diese Frau sein würde. Aber ich hatte Alipsha nicht genau genug zugehört, worauf er mich hinwies, als ich ihn voller Zorn zur Rede stellte, nachdem Brekhna uns verlassen hatte. Die Geister hatten ihm nur gesagt,  dass eine Frau meine Nachfolge antreten würde, und nur das hatte er an mich weitergegeben. Weder sie noch er hatten in irgendeiner Weise angedeutet, dass es sich bei dieser Frau um meine Tochter oder überhaupt um jemanden von meinem Blut handeln würde.«
    Tor Gul Khan brach abrupt ab, als wäre es zu schmerzlich für ihn, die nächsten Worte auszusprechen.
    »Dann hast du mich hierherbringen lassen, um herauszufinden, ob ich diese von den Geistern angekündigte Nachfolgerin bin«, stellte Khalidah sachlich fest.
    Ihr Großvater holte tief Atem, sagte aber, statt ihre Frage zu beantworten: »Du hast die Geschichte unserer Herkunft gehört und kennst Mobarak Khans Gelübde, daher wirst du verstehen, warum wir uns dem Kampf gegen das Böse und gegen jegliches Unrecht verschrieben haben. Wir trachten danach, beides auszumerzen, wann und wo immer es sich zeigt, denn wir halten es für das Vermächtnis der bösen Geister, die Mobarak Khan zu Beginn allen Seins vertrieben hat. Aber damit war die Geschichte noch nicht zu Ende.«
    Wieder entstand eine Pause. Khalidah gewann den Eindruck, dass ihr Großvater sich innerlich für das wappnete, was gleich folgen würde. Endlich fuhr er fort: »Zu Mobarak Khans Zeit lebte ein Schaf hirte namens Pamir unter den Dschinn. Er war ein eigenartiger Mann. Manche bezeichneten ihn als einfältig, aber es war allgemein bekannt, dass er Visionen empfing, die sich oft bewahrheiteten. Heutzutage wäre er zweifellos ein berühmter betaan gewesen. Damals aber erkannten die Dschinn außer Mobarak Khan keinen Propheten an.
    Pamir war mit seiner Herde auf den Hochweiden, als Mobarak Khan starb, und trotzdem erschien er drei Tage nach dessen Tod, an dem Morgen, an dem er zur letzten Ruhe gebettet werden sollte, an seinem Grab. Er zeigte keinerlei Überraschung darüber, den Stammesführer tot in seinem Sarg liegend vorzufinden, sondern wunderte sich nur über die Trauer seines Volkes. ›Warum weint und klagt ihr  so?‹, fragte er sie. ›Mobarak Khan ist nicht gestorben, sondern hat uns nur für einige Zeit verlassen, so wie es ein Hirte tut, wenn er zu den Sommerweiden zieht.‹<
    Die Leute taten seine Worte als Zeichen von Irrsinn ab, doch Pamir war noch nicht fertig. Er teilte ihnen mit, ihm sei im Traum der Geist von Mobarak Khan erschienen und habe ihm geweissagt, das Glück würde den Dschinn viele Generationen lang hold sein; sie würden all die Kämpfe gewinnen, die sie auszufechten hätten, und während der restlichen Zeit friedlich in ihrem Tal leben. Aber eines Tages würden sich die bösen Geister, die er einst vertrieben hatte, wieder zusammenrotten und eine Armee von unvorstellbarer Stärke bilden. Sie würden vom Westen her über das Meer kommen und wie eine Welle des Bösen über den Osten hinwegrollen. Die Städte würden in Blut ertrinken, die Bewohner, die das Gemetzel überlebten, ihr weiteres Dasein als Sklaven fristen. Doch wenn dieser Tag kommen würde, würde Mobarak Khan wieder menschliche Gestalt annehmen, um die Armee der Menschen gegen die des Bösen in die Schlacht zu führen.«
    Khalidah merkte erst jetzt, dass sie die geschnitzte Figur von Brekhnas Pferd so fest umklammerte, dass sie sich schmerzhaft in ihre Handfläche bohrte. Mit angehaltenem Atem wartete sie darauf, dass

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