Wuestentochter
sterben müssen.«
»Glaubst du, dass es einen solchen Ort überhaupt gibt?«
Bilal sah ihn an. Am liebsten hätte er gesagt, dass er für Salim ein solches Refugium mit seinen eigenen Händen erbauen würde, aber er wusste, dass dies nicht die Antwort war, die Salim hören wollte. Er schwieg lange. Sein Blick schweifte über das sanft dahinplätschernde Wasser und über den dunstigen Himmel, während er nach den richtigen Worten suchte.
»Bilal?«
Am Ende entschied er sich für die Wahrheit. »Ich weiß es nicht.«
Salim bedachte ihn mit einem seltsam resignierten Lächeln, das ihm nicht gefiel. Doch ehe er eine diesbezügliche Bemerkung machen konnte zog Salim ihn zu sich, küsste ihn auf eine Weise, die er fast vergessen hatte, und entfachte in ihm so ein Feuer, das ihn seine Bedenken vergessen ließ.
Bevor sein Wille ganz ausgelöscht wurde, umfasste er Salims Kinn mit seiner gesunden Hand. »Versprich mir, dass du mich nie verlassen wirst.«
»Ich könnte ohne dich nicht leben«, erwiderte Salim, und da es so lange her war, seit Bilal zum letzten Mal eine so leidenschaftliche Überzeugung in seiner Stimme gehört hatte, sah er darüber hinweg, dass Salim seine Frage im Grunde genommen gar nicht beantwortet hatte.
Am siebenundzwanzigsten Mai des christlichen Kalenders stieß Saladin wieder zu seiner Armee. Trotz des Zustroms neuer Soldaten brachte er als Erstes weitere Rekrutierungsaufrufe in Umlauf. Dann schickte er nach seinen Söhnen und dankte ihnen formell für den Sieg bei Cresson. Nur Al-Afdhal nahm diesen Dank als etwas hin, was ihm rechtmäßig zustand. Al-Aziz fixierte seinen älteren Bruder mit einem Blick, in dem glühende Eifersucht schwelte, Al-Zahir wirkte erfreut und verwirrt zugleich, und Salim, von dem der Sultan gedacht hatte, er müsse vor Stolz darüber, den Templermarschall eigenhändig exekutiert zu haben, förmlich platzen, erschien ihm bedrückt und abwesend. Saladin fragte sich flüchtig, ob er sich mit dem Beduinenjungen überworfen hatte, entschied dann aber, dass sich dies nur als vorteilhaft erweisen könnte, und konzentrierte sich wieder auf seine anderen drei Söhne.
»Ihr habt eure Sache gut gemacht«, fuhr er fort, »aber ich brauche euch ja wohl nicht zu sagen, dass unsere Arbeit gerade erst begonnen hat.« Er nippte an seinem Tee, wobei ihm auffiel, dass von den vier Jungen nur Salim sein Glas noch nicht angerührt hatte. »Cresson war ein Sieg, aber jeder Sieg zieht Konsequenzen nach sich, und in diesem Fall können wir unseren Waffenstillstand mit Tripolis als außer Kraft gesetzt betrachten.«
»Hat er das gesagt?«, fragte Al-Zahir. Auf seinem breiten, gutmütigen Gesicht spiegelte sich Verständnislosigkeit wider.
Saladin seufzte. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, wie es kam, dass Al-Zahir ein solches Genie im Kampf war, ansonsten aber jegliche Intelligenz vermissen ließ. »Nein«, entgegnte er geduldig, »aber die anderen fränkischen Edelleute werden ihn für dieses Debakel verantwortlich machen - was ich in ihrer Situation übrigens auch täte. Ich glaube, dass Tripolis wirklich daran gelegen ist, in Frieden mit uns zu leben, aber er ist ein Franke, und mir ist noch nie ein Franke begegnet, der sich wegen eines Sarazenen gegen seine eigenen Leute gestellt hätte.«
Al-Zahir schien zu versuchen, seinen Ausführungen zu folgen; Al-Aziz’ Gedanken kreisten ganz offensichtlich um andere Dinge, und Al-Afdhal hatte von Anfang an nicht richtig zugehört. Nur Salim machte den Eindruck, als lausche er interessiert, doch Saladin bemerkte eine falsche Note in diesem Interesse, die ihn erschreckte, weil sie schon fast an Abneigung grenzte.
Seufzend fuhr er fort: »Es wird nicht lange dauern, bis Guy weitere Abgesandte ausschickt, und diesmal werden sie nicht um Tripolis’ Einlenken bitten - sie werden es fordern. Und Tripolis wird nichts anderes übrig bleiben, als sich zu fügen. Sobald die lateinischen Staaten ihre Differenzen bereinigt haben, werden sie sich uns zuwenden. Die Männer sind während meiner Abwesenheit träge geworden - es wird Zeit, dass wir wieder anfangen, sie zu drillen. Wir müssen vorbereitet sein.«
»Wie viel Zeit bleibt uns?«, fragte Salim abrupt, und obwohl seine Stimme vollkommen unbeteiligt klang, konnte der Sultan ein leises Lächeln nicht unterdrücken, in dem sowohl Anerkennung als auch Beschämung lag, denn einmal mehr hatte dieser Sohn, den er schon fast abgeschrieben hatte, als Einziger die richtige Frage
Weitere Kostenlose Bücher