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Wuestentochter

Wuestentochter

Titel: Wuestentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bryant
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bald darum zu beneiden, aber sie fürchtete auch um sie. Obwohl sie wusste, dass sie gelegentlich mit ihr in Kontakt kamen, konnte sie nicht recht glauben, dass sie sich in der Außenwelt mit all ihren Machtkämpfen, Ränken, Freveln und Sakrilegen zurechtfanden. Ihre Verehrung allen Lebens unterschied sich so sehr von ihrer eigenen, von Rachsucht und Ehrgedanken beherrschten Welt, und ihr kuffar-Glaube erschien ihr weit zivilisierter als die miteinander im Krieg liegenden Götter des Christentums und des Islams.
    Im Laufe der Tage gelangte Khalidah widerstrebend zu der Einsicht, dass ihr Großvater mit seiner Behauptung, eine Teilnahme an Saladins Dschihad würde viele nahezu unzumutbare Härten für die Dschinn mit sich bringen, Recht hatte. Trotzdem sah sie auch, wie tief der Glaube an Pamirs Prophezeiung bei vielen, besonders bei fast allen Angehörigen der jüngeren Generation ging. Während die Tage zu Wochen wurden, begann ihr erwartungsvolles Vertrauen in ihre Person sie mit Verzweiflung zu erfüllen, bis sie es endlich nicht mehr aushielt und sich auf die Suche nach Sulayman machte, um einen Rat einzuholen.
    Er war zu alt, um im Schlafraum der Jungen untergebracht zu werden. Zwar nahm er tagsüber an deren Training teil, wohnte aber bei Warda und Batoor - Shahascinas Eltern -, die ihn schon für die Dauer seines ersten Aufenthalts in Qaf bei sich aufgenommen hatten. Khalidah hatte sie kennen gelernt, war aber noch nie in ihrem Haus gewesen und hegte eine gewisse Scheu davor, ihn jetzt dort aufzusuchen. Es war ein großes Haus, am Ende einer der Terrassen gelegen, und bot von seinem Dachgarten aus einen guten Blick über das Übungsfeld. Die hölzerne Tür war mit kunstvoll geschnitzten Szenen aus Mobarak Khans Leben verziert. Vom Türsturz hing ein Steinbockschädel herab, dessen prächtige Hörner sich dem Besucher entgegenstreckten wie eine zweizehige Klaue.
    Die Tür stand offen, um die süße Abendbrise einzulassen, die den Holzfeuerrauch zum Abzugsloch im Dach hinauswehte. Ehe Khalidah anklopfen konnte tauchte ein Kind auf der Schwelle auf; ein ungefähr sechsjähriges Mädchen mit einem Elfengesicht und Haar von der Farbe reifen Weizens. Wie viele Kinder in Qaf trug sie einen zahmen Mynahvogel auf der Schulter, der Khalidah ebenso forschend musterte wie seine Herrin. Nach einem Moment grinste das Kind, wobei es zwei Zahnlücken entblößte, und begann nach seiner Mutter zu rufen. Kurz darauf erschien Warda, die sich hastig die Hände an  ihrer Schürze abwischte. Sie lächelte, als sie Khalidah erblickte, bat sie ins Haus und schalt dann ihre Tochter, die sie Mahzala nannte, aus, weil sie den Gast vor der Tür hatte stehen lassen.
    »Nimm bitte Platz.« Sie deutete auf einen hölzernen Stuhl vor der Feuerstelle. »Sulayman ist mit Batoor draußen vor dem Haus - ich werde ihn sofort holen. Mahzala, bring Bibi Khalidah Tee.«
    Während sich Warda auf die Suche nach Sulayman machte und Mahzala sich um den Tee kümmerte, blickte sich Khalidah neugierig um. Der Raum sah genauso aus, wie Sulayman ihn vor langer Zeit in der Wüste beschrieben hatte: Da waren die verschlossenen Türen, die aus dem zentralen Wohnbereich herausführten; die Galerie mit den hohen Fenstern, hinter denen jetzt ein paar Sterne funkelten. Von den anderen beiden Mädchen, die noch zu Hause lebten, war nichts zu sehen, ebensowenig wie von den Großeltern, die mit der Familie hier wohnten. Außer dem Prasseln des Feuers und dem Seufzen des Windes war kein Laut zu hören.
    Khalidah hatte gerade begonnen, sich in dieser ruhigen, friedlichen Umgebung ein wenig zu entspannen, als Mahzala mit dem Tee zurückkam und prompt verkündete: »Ghairat sagt, du kennst Mobarak Khan.«
    Khalidah hätte sich beinahe an dem heißen Tee verschluckt. »Wer ist Ghairat?«
    »Mein Freund.« Das Mädchen fütterte seinen Vogel mit Krumen von der Platte mit Schafsbutter bestrichener Brote, die es neben der Teekanne abgestellt hatte.
    Khalidah seufzte. »Dann sag Ghairat, dass er sich irrt.«
    Mahzala sah mit großen Augen zu ihr auf. »Aber er sagt, du wärst gekommen, um uns den Weg zu Ihm zu zeigen. Wenn nicht du, wer dann?«
    »Mahzala!«, mahnte Warda scharf von der Tür her und enthob Khalidah so einer Antwort. »Es tut mir leid, Bibi Khalidah«, entschuldigte sie sich, aber trotz ihrer offenkundigen Verlegenheit schwang ein Anflug von Neugier in ihrer Stimme mit. Khalidah unterdrückte einen erleichterten Seufzer, als sie Sulayman hinter Warda ins Haus

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