Wuestentochter
Voraussagen trafen ein. Kaum waren die psarlay-Feierlichkeiten zu Ende, da begannen die Mädchen auch schon, sie mehr oder weniger direkt auszuhorchen. Natürlich war es Abi Gul, die als Erste vorsichtig ihre Fühler ausstreckte, indem sie Khalidah beim Striegeln ihrer Pferde fragte, ob sie Saladin schon einmal begegnet war.
»Ich könnte mich glücklich schätzen, wenn er mich in seiner Küche arbeiten ließe«, erwiderte Khalidah ausweichend.
Das überraschte Abi Gul. »Ich verstehe ja, dass er dir dein DschinnBlut nicht ansehen würde, aber immerhin bist du die Tochter eines arabischen Königs.«
»Das stimmt so nicht ganz.« Khalidah entfernte ein paar kleine Steine aus Zahirahs Hufen. »Ich bin die Tochter des Scheichs eines Beduinenstammes. Die Beduinen mögen dem niedergelassenen Adel im Kampf gegen einen gemeinsamen Feind durchaus nützlich sein, aber ansonsten haben sie wenig Verwendung für uns, und Respekt bringen sie uns schon gar nicht entgegen. In ihren Augen sind wir harafish - Pöbel - und nur wenig besser als eure Bergbanditen.« Sie kauerte sich auf die Fersen und blickte über den Fluss hinweg. »Obwohl ich dem Sultan damit vielleicht Unrecht tue. Ich habe gehört, er teilt diese Ansichten nicht ganz.«
»Wird dein Stamm für ihn gegen die Invasoren kämpfen?«
Khalidah seufzte. »Ich weiß es nicht. Mein Vater hat sich dafür ausgesprochen, aber sein Bruder, der über den anderen Teil unseres Stammes herrscht, war dagegen. Mein Verschwinden könnte es meinem Vater unmöglich gemacht haben, nach seinem eigenen Gutdünken zu handeln.«
Abi Gul war klug genug, nicht weiter auf dieses Thema einzugehen, aber dennoch nahmen in Khalidahs Kopf einige sehr unerfreuliche Möglichkeiten Gestalt an: Abd al-Aziz einmal mehr in einen offenen Konflikt mit seinem Bruder verstrickt; hilfloses Opfer von Numairs Gier; ein Messer, geführt von der Hand eines Verräters, das sich aus dem Hinterhalt in seinen Rücken bohrt; der Stamm in alle Winde zerstreut oder von ihrem Onkel unterjocht; Bilal ein Märtyrer und Zeyneb eine Sklavin.
»Ich hoffe, dass er sich Saladins Armee angeschlossen hat«, erwiderte sie endlich. »Ich bete jeden Tag dafür.«
Abi Gul arbeitete eine Weile schweigend weiter, dann fragte sie plötzlich: »Glaubst du, dass euer Schöpfer - also euer Allah - Saladin dazu auserkoren hat, die Invasoren zu verjagen?«
»Ich weiß, dass der Sultan das glaubt«, gab Khalidah vorsichtig zurück. »Und dass sich diese Überzeugung auf andere überträgt, also läuft es letztendlich wahrscheinlich auf dasselbe hinaus: Wenn sie an ihn glauben, glauben sie auch fest genug an sich selbst, um ihm zum Sieg zu verhelfen.«
Abi Gul hatte mit ihrer Tätigkeit innegehalten, und ihr Pferd nutzte die Gelegenheit, um davonzutrotten. Und dann sprach sie aus, was Khalidah befürchtet hatte. »Eine unserer Legenden, eine Prophezeiung besagt, dass Mobarak Khan wiedergeboren wird, wenn sein Volk ihn dringend braucht. In den Augen vieler von uns ist er wie euer Mohammed - oder vielmehr wie der Jesus der Christen, der starb und wieder auferstand.« Sie schien im Begriff zu stehen, noch etwas hinzuzufügen, besann sich dann aber eines Bessren, doch in ihrem Gesicht spiegelten sich unzählige stumme Fragen wider.
»Abi Gul …« Khalidah seufzte. »Ich weiß, dass viele deiner Leute die Franken für die zurückgekehrten bösen Geister halten, die Mobarak Khan vor so langer Zeit verjagt hat, und glauben, dass Saladin als seine Reinkarnation jetzt auszieht, um erneut gegen sie zu kämpfen. Vielleicht trifft das zu, vielleicht auch nicht … mehr kann ich dazu nicht sagen. Ich weiß nicht, ob der Sultan der Mann ist, den ihr in ihm seht, und ich weiß noch nicht einmal, ob er überhaupt im Stande ist, die Franken zu besiegen. Gut möglich, dass er es bereits versucht hat und gescheitert ist.«
»Nein, das hat er nicht«, erwiderte Abi Gul mit überraschender Bestimmtheit. »Unser betaan hat ihn gesehen. Er hat noch nichts unternommen, obwohl die Zeit drängt.«
Khalidah nahm sich insgeheim vor, einen Weg zu finden, um mit diesem betaan zu sprechen. »Das mag ja sein«, versetzte sie. »Aber überlege doch einmal, was es für die Dschinn bedeuten würde, für Saladin zu kämpfen. Seine Armee ist riesig, und er bedient sich ganz anderer Taktiken als ihr. Ihr könntet das Geschick, das euch zu so perfekten Kriegern macht, unter seinem Befehl gar nicht entfalten.«
»Meinst du?«, fragte das andere Mädchen sanft, aber
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