Wuestentochter
Kopf abschlug.
»Dann verlierst du jetzt zwei Freundinnen«, bemerkte sie.
Abi Gul zuckte die Achseln. »Für eine gewisse Zeit schon … bis ich meinen ersten Kampf bestreite und in die Reihen der Krieger aufgenommen werde oder …« Sie schielte zu Khalidah hinüber und senkte dann den Blick.
Khalidah seufzte. »Wenn du noch keine sechzehn bist, wird man dir nicht erlauben, zu Saladin zu reiten, selbst wenn Tor Gul Khan den anderen seinen Segen dazu gibt.«
»Hat man dir ›erlaubt‹, dich der Ehe zu entziehen und hierherzukommen?«
»Das war etwas anderes.«
Abi Gul warf ihr einen schwer zu deutenden Blick zu: nicht unbedingt anklagend, aber ganz sicher auch nicht versöhnlich. »Bist du nicht lieber dem Ruf deines Herzens gefolgt statt dich dem Befehl deiner Familie zu unterwerfen? Was ist denn daran anders?« Sie rang entnervt die Hände. »So schwer es dir auch fällt, das zu akzeptieren, Bibi Khalidah - ich glaube daran, dass Saladin unser Messias ist. Ich glaube so fest daran, wie du daran glaubst, dass es keinen Gott gibt außer Allah und Mohammed Sein Prophet ist. Mein Schicksal ist es, Kriegerin zu werden, und obgleich ich Mitleid mit Rakan und allen anderen habe, die zu uns kommen, weil sie Hilfe benötigen, sind die Kämpfe, die wir ihretwegen bestreiten, nur Tropfen im Meer der Geschichte. Saladin dagegen ist eine Flut, und wenn ich schon mein Leben auf Schlachtfeldern verbringe, lasse ich mich lieber von einer Flut mitreißen.«
Sie hatten den Schlafsaal erreicht. Khalidah musterte ihre Freundin lange eindringlich, las aber nur unerschütterliche Entschlossenheit in den grüngoldenen Augen.
»Mich braucht niemand zu beschützen, auch du nicht«, sagte Abi Gul. »Also versuch es bitte erst gar nicht.«
»Wie du willst«, versetzte Khalidah. »Aber mehr verspreche ich dir nicht, bevor du nicht etwas für mich getan hast.«
»Was denn?«
»Ich muss mit Alipsha sprechen, eurem betaan.«
Abi Gul grinste. »Ich dachte schon, du würdest nie fragen.«
Der Nachmittag war warm, der Himmel mit weißen Wölkchen übersät. Seit Zahirah der Verband abgenommen worden war, ritt Khalidah sie zum ersten Mal wieder. Die Stute schien sich in erstklassiger Verfassung zu befinden und zeigte keine Anzeichen von Lahmheit. Abi Gul beäugte sie vom Rücken ihres blaugrauen Hengstes aus, der Tufan hieß, was ebenso wie Asifa ›Sturm‹ bedeutete.
»Ein wunderschönes Pferd«, lobte sie. »Sie und Tufan würden prächtige Fohlen in die Welt setzen.«
»Denk erst gar nicht darüber nach«, schalt Khalidah. »Wenn sie trächtig ist, kann sie die Reise gen Westen nicht zurücklegen - und ich kann mit ihr schon gar nicht in die Schlacht reiten.«
»Vielleicht irgendwann einmal, wenn die Kämpfe hinter uns liegen«, meinte Abi Gul.
»Inschallah«, stimmte Khalidah zu.
Sie ritten über weiches Gras und durchquerten kleine Wälder, bis sie nach mehreren Stunden die Hochweiden erreichten. Hier war die Luft dünner und kühler, und helle Sonnenstrahlen blitzten zwischen den über den Himmel hinwegziehenden Wolken auf. Einige Hirten hatten ihre Herden bereits hier heraufgetrieben und waren in die aylaqs gezogen, die neben den den Fluss speisenden Quellen errichteten steinernen Schutzhütten. Neben diesen Hütten lagen Ställe, in die die Schafe abends gebracht wurden, um sie vor Raubtieren zu schützen. Als sie sich einer Hütte näherten, rief Abi Gul etwas auf Paschtu, woraufhin ein Junge ins Freie trat, die Reiter einen Moment lang mit zusammengekniffenen Augen musterte und dann lachend auf sie zurannte. Abi Gul sprang von ihrem Pferd und umarmte ihn, dann wandte sie sich an Khalidah.
»Bibi Khalidah, darf ich dir meinen Bruder Arsalan vorstellen?«
Arsalan neigte den Kopf vor ihr. Khalidah erwiderte die Geste, dann musterte sie ihn verstohlen. Der Junge war ein paar Jahre älter als Abi Gul und sah ihr ungemein ähnlich. Abi Gul sprach auf Paschtu auf ihn ein, und er antwortete in derselben Sprache. Khalidah fing die Worte für Pferde und Schnee und wiederholt betaan auf.
Endlich drehte sich Abi Gul zu ihr um. »Verzeih uns, Bibi Khalidah. Arsalans Arabisch war noch nie sehr gut, und seit er das Leben eines Schafhirten führt, hat er fast alles vergessen, was er gelernt hat. Aber er sagt, dass Alipsha in seiner Hütte ist und er uns zu ihm bringen wird. Die Pferde müssen wir allerdings hier lassen und zu Fuß gehen. Nach der Schneeschmelze sind die Pfade immer trügerisch.«
Arsalan half ihnen, die Pferde
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