Wuestentochter
abzusatteln und sperrte sie dann in einen leeren Schafpferch. »Fertig?«, fragte er auf Arabisch, und ohne auf eine Antwort zu warten drehte er sich um und begann den Berghang zu erklimmen.
Er bewegte sich mit der Anmut und dem Geschick eines Steinbocks. Abi Gul und Khalidah folgten ihm etwas langsamer. Khalidah war noch immer nicht an körperliche Anstrengungen in solcher Höhe gewöhnt, und die drei mussten häufig stehen bleiben, damit sie verschnaufen konnte. Sogar Abi Gul schien für die Pausen dankbar zu sein. Es dauerte nicht lange, bis Khalidah begriff, warum Arsalan darauf bestanden hatte, die Pferde zurückzulassen. Das Gras wich allmählich steiniger, schlammiger Erde, auf der Khalidah manchmal kaum Halt fand. Die Pferde wären ihnen hier nicht von Nutzen, sondern eher eine Last gewesen.
Endlich erreichten sie den Gipfel. Von den schneebedeckten Bergkuppen ringsum wehte ein eisiger Wind herüber. Khalidah schlang ihren Schal um Kopf und Schultern und hakte sich bei Abi Gul ein, während sie sich sich den zu beiden Seiten steil abfallenden Pfad entlangtasteten. Sie überquerten den Grat und gelangten in eine kleine Senke; gerade groß genug, um einer Steinkate Platz zu bieten. Sie lag so windgeschützt, dass in ihrem Schatten etwas Gras und Wildblumen wuchsen. Eine Ziege mümmelte an ein paar leuchtend roten Mohnblumen, und aus einem Loch im Dach des aylaq quoll Rauch.
Arsalan trat auf die offene Tür zu, spähte in das Dunkel und wechselte dann mit irgendeiner unsichtbaren Person ein paar Worte. Einen Moment später trat er mit einem Mann ins Freie, der aussah, als habe das Leben ihn bis auf die Knochen aufgezehrt und nur Sehnen und Geist zurückgelassen. Sein fadenscheiniges weißes Gewand hing an ihm wie auf einem Rahmen trocknende Wäsche, seine Finger glichen knorrigen Stöcken, seine dunkle, verwitterte Haut schien ihn wie ein loser Sack zu umschlottern, und sein hohlwangiges Gesicht wurde von einer vorspringenden Nase beherrscht. Aber in seinen leuchtend goldenen Dschinn-Augen loderte das Feuer eines jungen Mannes. Er grinste Khalidah zahnlos an, nahm ihre Hände in die seinen und küsste sie unter gemurmelten Segenswünschen auf beide Wangen.
Nachdem er sie endlich freigegeben hatte, forderte er sie alle mit einer Geste zum Eintreten auf. Die Kate wirkte innen genauso armselig wie von außen. Alte, fast zerfallene Läufer bedeckten den Boden aus festgestampfter Erde, die Feuerstelle bestand aus einer kleinen Grube in der Mitte des Raumes, das Brennmaterial aus getrocknetem Ziegendung. Auf drei flachen Steinen stand ein brodelnder Kessel, dem ein beißender, aber nicht unangenehmer Kräutergeruch entströmte. Alipsha bedeutete ihnen, sich zu setzen, also nahmen sie auf den Läufern Platz, denn Kissen, Stühle oder gar andere Möbelstücke gab es nicht, es sei denn, man wollte den riesigen Steinbockschädel in einer Ecke als solches bezeichnen. Khalidah fragte sich, ob der alte Mann in seine mottenzerfressenen Teppiche eingewickelt auf dem Boden schlief und empfand fast Mitleid mit ihm, bis ihr einfiel, dass sich ein Derwisch auf der Suche nach Erleuchtung oft ähnliche Entbehrungen auferlegte.
Als alle saßen, ging Alipsha ins Freie und kam mit einem hölzernen Eimer wieder, den er vor Khalidah hinstellte und ihr einen Schöpflöffel reichte. Der Eimer war bis zum Rand mit Milch gefüllt. Khalidah war sicher, einen Teil der Wochenration des alten Mannes zu verzehren, wusste aber auch, dass sie nicht ablehnen durfte, wenn sie ihn nicht kränken wollte. Also tauchte sie den Löffel in die Milch, nippte daran und gab ihn dann an Arsalan weiter. Alipsha ließ sich ihr gegenüber vor dem Feuer nieder und musterte sie eine Weile, bevor er das Wort an sie richtete.
»Willkommen, Bibi Khalidah«, sagte er langsam. »Ich habe …«
Khalidah sah Abi Gul an und wiederholte das Ende des Satzes, das sie nicht verstanden hatte. »Matale …«
»Mateledal - warten auf«, übersetzte Abi Gul. »Alipsha hat darauf gewartet, dass du zu ihm kommst.«
»Warum?«, wandte sich Khalidah an den alten Mann.
Dieser brach in einen Wortschwall aus, dem sie gar nicht erst zu folgen versuchte. Sie wartete, bis er verstummt war, und nickte dann Abi Gul zu, die erklärte: »Er hat während der letzten drei Wochen von dir geträumt - seit du in Qaf bist. Und davor …« Sie brach ab und hob unbehaglich die Schultern.
»Bitte sprich weiter, Abi Gul.«
»Er sagt, er hat mit deiner Mutter gesprochen.«
Obwohl ihr klar
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