Wuestentochter
… du bist inzwischen im Süden fast schon zu einer Art Legende geworden.« Bilal lächelte schwach. »Wir folgten den Gerüchten, die über dich im Umlauf sind, und heute Morgen trafen wir dank der Güte Allahs zufällig auf Salim al-Ayyubi. Den Rest kennst du.«
Eine weitere Pause trat ein. Bilal war sich der vielen Fragen, die Abd al-Aziz ihm zu stellen vermieden hatte, sehr wohl bewusst, aber er konnte seine Neugier nicht länger bezähmen. Seine nächsten Worte wählte er äußerst sorgsam. »Bitte versteh mich nicht falsch, Sayyid, denn ich bin dir aufrichtig dankbar für alles, was du in der Vergangenheit für mich getan hast, und ich würde heute kein Leben mehr dem vorziehen, das ich hier gefunden habe, aber ich kann nicht umhin, mich zu fragen, warum du, wenn du mich wirklich als Sohn betrachtet hast …«
»Dich nicht mit meiner Tochter vermählt habe?« Abd al-Aziz schüttelte reumüig den Kopf. »Es gab nichts, was ich lieber getan hätte.«
Bilal blieb verblüfft stehen.
»Ich konnte sehen, dass ihr euch geliebt habt«, fuhr der Scheich fort. »Es war keine große Leidenschaft, aber eine Liebe, die die Prüfungen überdauert hätte, die das Eheleben mit sich bringt. Ich dachte, unter deinem Einfluss würde Khalidah etwas ruhiger werden, sie würde dir eine gute Frau sein, und gemeinsam würdet ihr euch für den Stamm als Pfeiler der Stärke erweisen.«
»Was hat dich davon abgehalten, mir ihre Hand zu versprechen?«
Abd al-Aziz seufzte. »Wie viel bedeutet dir die Antwort darauf?«
»Ich bin der ewigen Geheimnisse überdrüssig«, versetzte Bilal. »Sie bringen nichts als Kummer und Leid.«
»Da stimme ich dir zu, und aus diesem Grund werde ich dir deine Frage beantworten, obwohl ich damit ein altes Versprechen breche und überdies fürchte, große Bitterkeit in deinem Herzen zu säen. Ich habe dir meine Tochter nicht zur Frau gegeben, weil mich deine Mutter ausdrücklich darum gebeten hat, es nicht zu tun.«
Bilal nickte, als habe der Scheich ihm etwas bestätigt, was er schon immer geahnt hatte. »Weil sie sich vor de Ridefort fürchtete, der gedroht hat, sie ihrem Mann auszuliefern«, sagte er. »Sie wollte alles vermeiden, was seine Aufmerksamkeit auf sie lenken könnte.«
Abd al-Aziz senkte den Kopf.
»Wie lange weißt du schon von ihm?«
Wieder seufzte der Scheich. »Fast so lange, wie ich dich kenne. Kurz bevor Brekhna den Stamm verließ, erzählte sie mir die Geschichte deiner Mutter und nahm mir das Versprechen ab, sie zu beschützen und ihr Geheimnis zu bewahren, als wäre es mein eigenes. Ich habe beide Versprechen gehalten. Im Falle des ersten bereue ich dies nicht, aber was das zweite betrifft … ich habe mich unzählige Male gefragt, ob vielleicht vieles anders gekommen wäre, wenn du gewusst hättest, wer du bist, wer dein Vater war und wovor deine Mutter solche Angst hatte.«
Bilal dachte darüber nach, während sie weitergingen. Sicher wäre vieles anders gekommen, aber er bezweifelte, dass sich die Dinge für ihn zum Besseren gewendet hätten. Endlich deutete ihr Mamlukenführer auf den den Hassani zugedachten Lagerplatz. Vor dem Eingang des Zeltes, das für ihn aufgestellt worden war, drehte sich Abd al-Aziz noch einmal zu Bilal um.
»Danke, dass du mir zugehört hast, Bilal. Jetzt muss ich mich ausruhen und du musst deinen Arm behandeln lassen. Wir werden in den nächsten Tagen genug Zeit zum Reden finden. Aber eines sollst du noch wissen: Ich habe in den letzten Monaten viel über Khalidahs Verschwinden nachgedacht und sehe vieles jetzt anders. Sollte sie zu mir zurückkehren, werde ich ihr keine Vorwürfe machen.«
»Das ist sehr gütig von dir, Sayyid.« Bilal war nicht sicher, aus welchem Grund der Scheich es für nötig hielt, ihn eigens darauf hinzuweisen.
»Bilal, würdest du … ich meine, falls sie zurückkommt und falls sie einwilligt, würdest du sie dann immer noch heiraten wollen?«
Während er in Abd al-Aziz’ ernstes, besorgtes Gesicht blickte, fragte sich Bilal zum ersten Mal, wie er sich je hatte einbilden können, Khalidah zu lieben und in der Ehe mit ihr glücklich werden zu können. Im Gegensatz zu dem Scheich glaubte er nicht, dass Khalidah jemals wieder zu ihrem Stamm zurückfinden würde, und er wollte dem alten Mann nicht wehtun, aber nachdem Abd al-Aziz so aufrichtig mit ihm gesprochen hatte, brachte er es nicht über sich, zu einer Lüge zu greifen.
»Für mich hat sich während der letzten Monate viel geändert, Sayyid«, gab er
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