Wuestentochter
hätte sie sich davon abgestoßen fühlen müssen, einen Mann kaltblütig getötet zu haben, stattdessen war sie nur erleichtert, dass er ihnen nicht folgen konnte. Auch als sie an all das dachte, was sie hinter sich gelassen hatte, verspürte sie keine Trauer, keinen Kummer, nur das Gefühl wilder, berauschender Freiheit.
Endlich begann sich der Himmel vor ihnen zu verfärben, und dann fielen die ersten Sonnenstrahlen über den Sand. Asifa und Sulayman hatten die Führung übernommen, und Khalidah, die halb schlafend im Sattel hing, schrak zusammen, als Zahirah zu ihnen aufschloss und stehen blieb. Sie standen oben auf einem langen, sanft geschwungenen Hang, dem Rand eines flachen Wadis. Durch die Talsohle zog sich ein schmaler Strom, der noch die Reste des winterlichen Regens führte. Sulayman stieg ab und führte Asifa zum Wasser hinunter. Nachdem alle getrunken hatten, deutete er stromaufwärts.
»Die Höhle liegt dort.«
»Aber die hier ansässigen Stämme kennen den Fluss und die Höhle doch bestimmt auch«, gab Khalidah zu bedenken.
Sulayman erwiderte nichts darauf, sondern lächelte nur und führte sein erschöpftes Pferd auf ein paar Felsen zu. Seufzend folgte Khalidah ihm. Als sie die Felsen erreichten, erwartete sie, sie von Spalten und Ritzen durchzogen zu finden, wie es bei den Felsen in der Wüste der Fall war, wenn sich darin Höhlen verbargen. Aber stattdessen schritt sie an einer glatten Steinwand entlang, die fast doppelt so hoch war wie sie selbst. Khalidah konnte nirgendwo eine Öffnung entdecken. Mit sinkender Zuversicht erkannte sie, dass Sulayman sich geirrt haben musste. Was hast du denn erwartet?, fragte sie sich. Er war offensichtlich nicht bei Sinnen, und sie musste verrückt sein, weil sie sich ihm angeschlossen hatte.
Während sie den Stein genau inspizierte, lehnte sie sich an Zahirahs Hals und barg das Gesicht einen Moment lang in der kupferfarbenen Mähne der Stute. Statt zu scheuen oder den Kopf hochzuwerfen blieb Zahirah still stehen und blies Khalidah ihren warmen Atem in den Nacken. Khalidah empfand den vertrauten Geruch nach Pferd und die Wärme des Tieres als seltsam tröstlich. Wenigstens habe ich sie, dachte sie. Sie gehört jetzt mir und nicht den Franken. Als sie wieder aufblickte, zwinkerte sie ungläubig. Sulayman war verschwunden. Mit vor Furcht hämmerndem Herzen zog sie Zahirah mit sich. Sie hatte gerade einen Hain abgestorbener Tamarisken fast passiert, als ein Pfiff ertönte. Als sie die Bäume eingehender betrachtete, sah ihr Sulaymans grinsendes Gesicht aus dem Schatten entgegen. Ärgerlich stapfte sie zwischen den Bäumen hindurch. Er stand in einer Felsspalte, die gerade breit genug für ein gesatteltes Pferd war. Dahinter erstreckte sich Dunkelheit.
»Das ist wirklich nicht der geeignete Zeitpunkt für solche Spielchen!«, fauchte sie aufgebracht.
»Natürlich nicht«, gab Sulayman zerknirscht zu. »Es tut mir leid, Sayyida.«
Obwohl sie ihn verdächtigte, seine Reue nur vorzutäuschen, war sie zu müde, um mit ihm zu streiten. Zahirah am Zügel führend folgte sie ihm durch den steinernen Gang in eine Höhle, die gerade genug Platz für sie alle vier bot. Über ihren Köpfen wurde sie schmaler, aber sie verlief durch den gesamten Felsen. Hoch über sich konnte sie einen blauen Streifen erkennen.
»Wir müssen etwas essen und dann schlafen«, mahnte Sulayman. »Morgen reiten wir wieder die ganze Nacht durch.«
Khalidah nahm Zahirah Sattel und Zaumzeug ab und breitete die Satteldecke auf dem Sand aus, damit sie trocknen konnte. Dann gab sie beiden Pferden Gerste, Datteln und etwas getrocknete Kamelmilch und nahm etwas davon für sich selbst und Sulayman. Sie aßen schweigend und streckten sich dann, einander den Rücken zukehrend, auf den Decken aus.
»Es tut mir wirklich leid, wenn ich dich erschreckt habe«, sagte Sulayman noch einmal.
Seufzend zog Khalidah sich die Decke über den Kopf und fiel in einen tiefen, erschöpften Schlaf.
Sie schlug die Augen auf und erblickte einen an einen feinen Schleier erinnernden Nebel voller halb geformter Gesichter, die sich bewegten, sowie sie sie zu erkennen versuchte. Die Luft war kühl, feucht und dünn, der Boden unter ihren Füßen mit dichtem Gras bewachsen. In ihrer Nähe stand eine in ein langes, weißes, am Saum besticktes Gewand gehüllte Gestalt. Unter dem Gewand trug sie Hosen wie ein Mann, aber es war eine Frau, daran hegte Khalidah keinen Zweifel, genauso wenig wie an ihrer Identität. Als die
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