Wuestentochter
er immer gewusst hatte, dass sie ihn nicht liebte. Aber das linderte den Schmerz nicht. Doch wenn sie geblieben und die Frau eines anderen geworden wäre, wäre dieser Mann nicht ihre eigene Wahl gewesen, und ihm wäre nichts genommen worden. Aber ihre Flucht ließ ihm noch nicht einmal den Trost seiner hoffnungslosen Liebe zu ihr.
Also stimmte Bilal Abd al-Aziz zu: Es waren die Fakten, die zählten, und die Fakten waren seiner Meinung nach nicht zu leugnen. Er holte tief Atem und sagte: »Ich habe geschlafen, war betäubt wie der Rest von euch, aber nicht so stark. Ich habe nur ein Glas Wein getrunken, mehr hat meine Mutter mir nicht erlaubt.«
»Eine weise Frau«, murmelte Abd al-Hadi. Die anderen schwiegen wohlweislich. Schließlich hatte auch Zeyneb die ganzen Ereignisse verschlafen.
»Irgendetwas weckte mich«, fuhr Bilal fort. »Eine Frau schrie. Als ich nachsah, was los war, sah ich Khalidah mit Abd al-Hadis Gefolgsmann sprechen - dem Toten. Sie sagte, dass sie ihren Vetter niemals heiraten würde.« Sein Blick wanderte verständnisheischend zu Numair, der keine Miene verzog. »Der Mann bemerkte mich und schlug mich nieder. Als ich das Bewusstsein wiedererlangte, sah ich gerade noch Khalidah mit diesem … diesem Spielmann wegreiten. Ich folgte ihnen bis zum Rand des Lagers, aber dann galoppierten sie los … was hätte ich denn tun sollen?«
Einen Moment herrschte angespannte Stille, dann ergriff Numair das Wort. Seine Stimme klang so ernst wie die seines Onkels, aber es schwang keinerlei Mitgefühl darin mit. »Du hättest irgendjemanden wecken können, der sie vielleicht noch hätte einholen können.«
Bilal sah aus, als habe er ihm einen Schlag versetzt. »Ich habe es versucht, Sayyid. Aber niemand wurde wach.«
Abd al-Aziz strich nachdenklich über seinen Bart. »Und der Brief? Du hast keine Ahnung, wo er herkam?«
Bilal schüttelte den Kopf. »Ich habe erst am Morgen, als er gefunden wurde, davon erfahren.«
»Ah, was würde ich für einen Mann im Lager geben, der lesen kann«, entfuhr es dem Scheich mit einem bitteren Unterton.
»Das würde uns nicht weiterhelfen, denn er müsste zugleich die Schrift der Franken lesen können«, warf Zeyneb trocken ein. »Aber wozu? Das Siegel verrät uns alles, was wir wissen müssen.« Ein viel sagender Blick traf Abd al-Hadi. Auch Abd al-Aziz sah seinen Bruder an.
»Du kannst nicht mir die Schuld daran geben, dass einer meiner Männer zu den Franken übergelaufen ist«, ereiferte sich dieser.
Abd al-Aziz musterte ihn nachdenklich, sagte aber schließlich nur: »Was wir herausfinden müssen, ist, ob die Templer etwas mit dem Verschwinden meiner Tochter zu tun haben oder ob sie gegangen ist, weil …«
Hier verlor der Scheich erstmals die Fassung. Obgleich die Frage an Bilal gerichtet gewesen war, sah er dabei Zeyneb an, die seinem Blick unverwandt standhielt. In ihrem Schweigen lag ein stummer Vorwurf.
»Deshalb«, fuhr Abd al-Aziz endlich fort, »frage ich dich jetzt, Bilal, obwohl ich normalerweise niemals jemanden auffordern würde, Vertrauen zu missbrauchen, ob Khalidah irgendetwas zu dir gesagt hat, was darauf schließen lässt, warum sie weggelaufen ist. Vielleicht irgendetwas über die Tempelritter?«
Bei der letzten Frage konnte der Scheich die Hoffnung in seiner Stimme nicht unterdrücken, was Bilal verwirrte. Er antwortete knapp: »Das Einzige, was sie zu mir gesagt hat, war, dass sie ihren Vetter nicht heiraten wollte.«
Abd al-Aziz betrachtete ihn lange eindringlich. Dann sagte er: »Danke, Bilal. Deine Treue wird belohnt werden. Du kannst gehen.«
»Aber …«, begann Bilal.
»Hast du uns noch mehr zu sagen?«
Bilal schüttelte den Kopf und zog sich zurück, wobei er dem Blick seiner Mutter auswich.
Draußen umkreiste er das Zelt, duckte sich an der Küche mit den scharfäugigen Mägden vorbei und schlüpfte von hinten in den Stall. Als er das Ohr an den Wandbehang legte, hörte er die ärgerliche Stimme seiner Mutter: „… weiß auch nicht mehr als du!«
»Verzeih, Zeyneb, aber es fällt mir schwer, das zu glauben«, erwiderte Abd al-Aziz.
Zeyneb schnaubte. »Genau deshalb sitzt du jetzt hier und überlegst, was du tun sollst.«
»Bitte?«
»Du weigerst dich, das zu akzeptieren, was du weißt.«
»Was gibt es da zu akzeptieren?«, mischte sich Abd al-Hadi ein. »Wenn du mich fragst, haben die beiden Ereignisse nichts miteinander zu tun. Mein Gefolgsmann hat mich hintergangen, und meine Nichte ist mit meinem Taugenichts von
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