Wuestentochter
verraten. Sie umging eine Antwort, indem sie fragte: »Was ist mit dir? Werden sie dich nicht für einen Verräter halten, wenn du plötzlich verschwunden bist?«
»Das ist doch egal«, erwiderte er achselzuckend. Khalidah beschlich das unbehagliche Gefühl, dass das ganz und gar nicht egal war, aber im Moment konnte sie an den Umständen nichts ändern, also schwieg sie. »Wir müssen jetzt aufbrechen«, fuhr er fort. »Wir haben schon viel zu viel Zeit verloren.«
Khalidah nickte und wandte sich zum Stall. Und richtig, dort stand Zahirah zusammen mit den Lieblingspferden ihres Vaters, sah sie aus großen, sanften Augen an und stellte die Ohren auf. Khalidah griff nach dem erstbesten Sattel, der ihr in die Hände fiel, und legte ihn der Stute auf. Zahirah stand lammfromm da, während sie den Gurt festzog und ihr Halfter und Zügel anlegte, doch unter dieser Ruhe konnte sie die kraftvolle Energie des Tieres spüren. Als sie fertig war, blickte sie auf und sah, dass Sulayman Numairs Pferd, eine graue Stute namens Asifa, für sich gesattelt hatte, die im Gegensatz zu Zahirah nervös tänzelte, den Kopf hochwarf und die Augen rollte, bis der weiße Rand zu sehen war.
»Bist du sicher, dass du mit ihr zurechtkommst?«, fragte Khalidah. »Sie scheint mir ziemlich schwierig zu sein.«
»Ein Pferd ist nur dann schwierig, wenn sein Reiter nicht mit ihm umzugehen versteht.« Sulayman legte der Stute eine Hand auf den Hals, woraufhin sie etwas ruhiger wurde, aber immer noch vor Furcht zitterte.
»Du hasst ihn«, stellte Khalidah sachlich fest, als sie ihm einen Wasserschlauch und mehrere Päckchen mit Datteln, harten Weizenkuchen und getrockneter Kamelmilch reichte.
Sulaymans Gesicht verhärtete sich, während er den Proviant in den Satteltaschen verstaute. »Hass ist eine primitive Empfindung, aber etwas Besseres hat ein Mann, der die Frauen seiner Gefolgsleute schändet und sie dann wegen Ehebruch steinigen lässt, meiner Meinung nach nicht verdient.«
Khalidah sah ihn entsetzt an, dann senkte sie den Blick. Schweigend fuhren sie fort, die Pferde zu satteln und dann ins Freie zu führen.
»Bist du bereit?«, fragte Sulayman endlich.
Khalidah nickte und schwang sich in Zahirahs Sattel. Die rote Stute begann jetzt genauso zu tänzeln wie die graue. Khalidah sah sich ein letztes Mal in dem schlafenden Lager um, dann stieß sie Zahirah leicht die Fersen in die Flanken. Das Pferd schnellte davon wie ein Pfeil von der Sehne und gewann noch an Geschwindigkeit, als sie ebenes Gelände erreichten, doch Khalidah hielt sie zurück und spähte über ihre Schulter. Asifa war dicht hinter ihnen, warf schnaubend den Kopf hoch und setzte sich gegen die Zügel zur Wehr. Khalidah wandte sich wieder zu der sich vor ihr erstreckenden endlosen welligen Wüste und gab ihrer Stute den Kopf frei. Zahirah blickte sich um, wie um sich ihre Erlaubnis einzuholen, und galoppierte dann über den Sand hinweg auf den sternenübersäten Horizont zu. Die sturmgraue Stute tat es ihr nach.
Im Schatten am Rand des Lagers verborgen starrte Bilal ihnen nach.
5
Im Schein des Vollmondes war die Wüste fast taghell erleuchtet, und lange Zeit ließen sie die Pferde galoppieren. Als die Tiere endlich zu ermatten begannen, stand der Mond schon fast am Ende des Horizonts, und Khalidah spürte die Wirkung des anstrengenden Tages und der schlaflosen Nacht. Sie lockterte ihren Griff um die Zügel und gab Zahirah den Kopf frei, dann sah sie zu Sulayman hinüber, der den Blick gen Osten gerichtet hielt.
»Rechnest du mit Verfolgern?«, fragte sie.
»Eigentlich nicht«, erwiderte er. »Aber ich will ganz sicher gehen.«
»Wohin reiten wir, Sulayman?«
»Südöstlich von hier gibt es eine Höhle und eine Quelle ganz in der Nähe. Wir müssten sie bei Tagesanbruch erreichen.«
Khalidah schüttelte verzweifelt den Kopf. »Und was dann? Sollen wir in dieser Höhle leben, bis mein Vater vergisst, dass er je eine Tochter hatte?«
»Alles zu seiner Zeit, Sayyida.«
Khalidah seufzte. Ein Teil von ihr wollte die Wahrheit aus ihm herausbringen, ein anderer konnte es nicht ertragen, davon zu hören. Also schwieg sie, während sie über die Sanddünen und an verwitterten steinernen Türmen vorbeiritten. Ihre Gedanken wanderten vom Geist ihrer Mutter zu Zeynebs Worten und Bilals reglosem Körper. Endlich gelangten sie zu dem Geräusch brechender Knochen und in Fleisch eindringenden Metalls. Es beunruhigte sie, wie wenig die Erinnerung sie berührte. Eigentlich
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