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Wuestentochter

Wuestentochter

Titel: Wuestentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bryant
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Sprachen zu lesen und zu schreiben … und ich hatte auch gelernt, mich wie ein Dieb zu bewegen, wie du es ausdrückst.«
    »Warum?« Khalidah war gegen ihren Willen fasziniert. Sulayman hob die Schultern. »Das Leben eines fahrenden Musikanten ist voller Gefahren. Manchmal mussten wir stehlen, um zu überleben, und diese Aufgabe fiel zumeist mir zu, denn ich war der Jüngste und Geschickteste der Männer. Außerdem hört und sieht ein  Musikant vieles, was sein momentaner Arbeitgeber lieber verborgen gehalten hätte. Dann hängt sein Leben davon ab, dass es ihm gelingt, seinen Gastgeber zu überlisten.«
    »Hat dich diese Truppe nach Qaf gebracht?«
    »Nein, da war ich schon nicht mehr bei ihnen. Ich war dieses gefährlichen, unsicheren Lebens überdrüssig geworden. Ich kaufte mir eine eigene qanun und beschloss, mir einen Gönner zu suchen. Es lag nahe, gen Osten zu ziehen, die Perser gelten als die großzügigsten Förderer der Künste. Aber dort angelangt konnte ich keinen Ort finden, wo ich mich dauerhaft niederlassen wollte. Irgendetwas trieb mich weiter … immer weiter ostwärts.«
    Er schüttelte den Kopf und lächelte wehmütig. »Anfangs war es nur eine Idee, ein Tagtraum. Ich hätte mir nie träumen lassen, wie sehr dieser Gedanke von mir Besitz ergreifen würde. Bevor ich mich versah, wollte ich weiter gen Osten reisen, als ich je gekommen war … als je ein Mensch vor mir gekommen war. Als ich die Berge von Khorasan sah, war es längst schon eine Besessenheit geworden. Ich konnte nicht aufhören. Mein Tagtraum war einem brennenden Drang gewichen, den ich selbst nicht verstand. Ich musste weiter nach Osten, immer weiter und weiter.
    Während ich von Dorf zu Dorf zog, brach der Winter herein, und ich fror erbärmlich und wurde immer hungriger. Irgendwann einmal wurde ich krank, schleppte mich aber trotzdem weiter. Als ich endlich zusammenbrach, befand ich mich Tage von dem letzten Dorf entfernt auf einem dick verschneiten Bergpass. Da erkannte ich, dass irgendein böser Dschinn mich an diesen trostlosen Ort gelockt hatte, damit ich dort starb.« Wieder lächelte er, und wieder lag in diesem Lächeln mehr Wehmut als Belustigung. »Bezüglich des Dschinn hatte ich Recht, nicht aber bezüglich seiner Absichten. Denn ich legte mich in der Hoffnung, der Tod möge rasch und schmerzlos eintreten, in den Schnee und erwachte in Qaf.«
    »Woher wusstest du, dass du in Qaf warst?«, hakte Khalidah behutsam nach.
    »Zuerst wusste ich es nicht. Ich dachte, ich wäre gestorben und in der Unterwelt erwacht. Diesen Irrglauben musste ich jedoch bald aufgeben. Ich war zu offensichtlich noch mit meinem Körper verbunden, der vor Fieber brannte. Ich wies die Suppe zurück, mit der mich irgendeine geduldige Seele immer wieder zu füttern versuchte, und wünschte mir, ich wäre lieber im Schnee gestorben als diese qualvolle Pein ertragen zu müssen.
    Viele Tage lang lag ich todkrank da. Deliriumwellen fluteten über mich hinweg. In regelmäßigen Abständen kamen Menschen, um mir Suppe und Kräutertränke einzuflößen und mein Bettzeug zu wechseln. Bei einigen handelte es sich um Männer, bei anderen um Frauen. Die Gesichter der Frauen waren tätowiert, und sie trugen alle seltsame schwere, reich bestickte Wollgewänder, als ob es sehr kalt wäre. Ich konnte das nicht verstehen, mir kam die Luft so heiß vor wie im Sommer in der Wüste. Deswegen wusste ich, dass ich auf dem Weg der Besserung war, als ich eines Morgens vor Kälte zitternd erwachte.«
    Sulayman verfiel in Schweigen. Khalidah wartete ungeduldig darauf, dass er fortfuhr. Endlich, als sie schon glaubte, er habe alles gesagt, was er zu sagen bereit war, sprach er weiter. »Eine Frau kniete auf dem Boden neben mir und beobachtete mich. Sie hatte ungewöhnliche Augen, so golden wie deine. Auch ihr Haar war golden.« Er hielt inne. »Als sie sah, dass ich wach war, stand sie auf und kam mit einer Schale Suppe wieder. Sie stellte die Schale neben mir ab und half mir, mich aufzusetzen. Ich fragte sie, wo ich war, und sie erwiderte: ›In Qaf‹.
    Natürlich dachte ich, sie würde lügen oder wäre verrückt oder das Fieber hätte meinen Verstand verwirrt. Aber das kümmerte sie nicht. Sie half mir, die Suppe zu löffeln, aber dabei schwieg sie die  ganze Zeit, und nach dem Essen war ich wieder zutiefst erschöpft. Ich schlief ein und erwachte erst am nächsten Morgen.
    So verlief mein Leben lange Zeit. Manchmal fütterte die Frau mich, manchmal eines von mehreren

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