Wuestentochter
Königreich sein Glück zu machen, und einst hatte es auch so ausgesehen, als sei er seinem Ziel ganz nah. Er übernahm bald den bescheidenen, aber respektablen Posten des Marschalls des Königreiches Jerusalem, und kurz darauf gewann er die Gunst Raymonds III., des Grafen von Tripolis. Tripolis nahm den jungen Ritter unter seine Fittiche. Eine Zeit lang waren die beiden Männer enge Freunde; eine Freundschaft, die ihren Höhepunkt erreichte, als Tripolis seinem Protégé die Frau versprach, die für de Ridefort die Erfüllung seiner Wünsche bedeutete - die Erbin Lucia de Botrun. Aber nach einiger Zeit begann sich Tripolis über de Rideforts hochtrabendes Gebaren zu ärgern, und als ein pisanischer Kaufmann ihm Lucias Gewicht in Gold als Gegenleistung für ihre Hand bot, ging er auf das Angebot ein.
De Ridefort kündigte ihm den Dienst auf, womit der Graf gerechnet hatte, und schloss sich dem Templerorden an, was er nicht erwartet hätte. Die nächsten Jahre trugen nicht dazu bei, den Groll zu lindern, den de Ridefort gegenüber seinem einstigen Gönner hegte. Als Großmeister der Templer gelangte er ironischerweise zu weit größerer Macht, als es ihm als Lucias Ehegatte je möglich gewesen wäre, dennoch wuchs seine Bitterkeit stetig und machte ihn zu einem Mann, dem jegliches diplomatische Geschick mangelte. Dies erwies sich angesichts der gegenwärtigen politischen Lage in Outremer als Problem, denn de Ridefort wusste, dass die zu der Zeit zerstrittenen lateinischen Staaten vernichtet werden würden, wenn sie sich auf einen Krieg mit Saladin einließen. Schlimmer noch - da die Templer ein besonders unangenehmer Dorn im Fleisch des Sultans waren, wäre de Ridefort einer der Ersten, die ausgelöscht werden würden.
Die meisten hätten seine Lösung des Problems als Verrat bezeichnet. Er zog es vor, es als ›sich auf der sicheren Seite halten‹ zu betrachten.
Bilal hatte von all dem natürlich keine Ahnung, und während sie nach Kerak ritten, verschwendete er kaum einen Gedanken an Numair. Für Bilal stellte die Burg einen wahr gewordenen Alptraum dar. Wenn die Wanderungen der Hassani sie in die Nähe von Brins Arnats Bollwerk führten, wuchsen die Kinder mit Geschichten über seine Grausamkeit und den ständigen Drohungen ihrer Mütter auf: »Wenn du deine Schwester noch einmal schlägst, lasse ich dich in Kerak zurück!« Oder: »Sei still, sonst weckst du Arnat, und ich hörte, dass er dringend Fleisch für seinen Bratspieß braucht.«
Zeynebs Drohungen hatten ähnlich Furcht einflößend geklungen, umso mehr, als sie einen Hauch von Wahrheit zu enthalten schienen, da sie sie ständig in Form von Widerlegungen aussprach. So hatte die sechsjährige Khalidah zu Bilal gesagt, er solle ihr besser ihr Spielzeugpferd zurückgeben, denn Brins Arnat käme ungezogene Kinder des Abends holen, um sie zum Abendessen zu rösten wie junge Ziegen. Zeyneb erwiderte darauf, das sei Unsinn, aber Arnat sei dafür bekannt, Kinder aus seinen Verliesen zu holen und zur Unterhaltung seiner Gäste von den Zinnen seiner Brustwehr zu stürzen. Das hatte ihren Streitigkeiten ein Ende gesetzt.
Als Bilal neun war, erzählte er Khalidah, Arnat würde Kindern, die ihren Müttern widersprachen, die Zunge herausreißen, woraufhin Zeyneb ihm gelassen mitteilte, etwas Derartiges sei ihr noch nie zu Ohren gekommen. »Aber«, fuhr sie dann fort, »er hat einmal einem Mann, der sich weigerte, ihm Geld zu geben, den kahlen Schädel aufgeschlitzt, ihn mit Honig eingerieben und den Mann dann auf einem Turmdach festgekettet, wo Insektenschwärme über ihn hergefallen sind, bis er den Verstand verlor.«
Bilal hatte diese Geschichte nie vergessen, und das Einzige, was ihn davon abhielt, der gefürchteten Burg den Rücken zuzukehren und die Flucht zu ergreifen, war Numairs Versprechen, er würde seinen Vater innerhalb dieser Mauern finden - obwohl ihm diese Aussicht im fahlen Licht des über der Wüste hereinbrechenden Morgens weitaus weniger verlockend erschien als am Tag zuvor in Abd al-Aziz’ Stall. Numair hatte sich geweigert, ihm mehr über den Mann zu erzählen, den sie treffen wollten, abgesehen davon, dass er in Kerak zu finden war. Er hatte dem Jungen auch eingeschärft, ihm das Reden zu überlassen und den Blick stets gesenkt zu halten. Deswegen sah Bilal weder die Ritter an, die das Tor am Eingang des Tales bewachten, das zu der Burg führte, noch die Pferdeknechte im Hof, die ihre Pferde in Empfang nahmen. Dennoch spähte er
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