Wuestentochter
Sie bedachte ihn mit einem eisigen Blick. »Wenn du mich aus diesem Grund wolltest, hätte ich Numair vorgezogen.«
Sulayman seufzte mit einer unterschwelligen Nachsicht, die ihren Zorn noch geschürt hätte, wenn dies möglich gewesen wäre. »Habe ich gesagt, ich wollte dich, Sayyida? Ich bin gekommen, um dir zu helfen, aber wenn du mir nicht glaubst, kann ich wenig dagegen tun.«
Sie ritten lange schweigend weiter, bis schließlich Khalidahs Neugier Oberhand über ihren Ärger gewann. »Du hast von Qaf gesprochen, als gäbe es diesen Ort wirklich«, sagte sie.
»Es gibt ihn wirklich«, erwiderte er bestimmt. »Ich habe ihn mit meinen eigenen Augen gesehen. Wie bei den meisten Legenden liegen auch die Wurzeln der von Qaf in der Wahrheit. Natürlich bestehen die Berge nicht aus Smaragden, und sie liegen auch nicht am Ende der Welt, aber sie sind sowohl grüner als auch weiter entfernt, als du es dir vorstellen kannst.« Er seufzte. »Ich weiß, dass all das in deinen Ohren irrsinnig klingen muss, aber Inschallah, eines Tages wirst du erkennen, dass dem nicht so ist. Vorerst jedenfalls genügt es, wenn du weißt, dass Qaf wirklich existiert, genauso wie die Dschinn. Sie sind weder Dämonen noch gefallene Engel, sondern Menschen aus Fleisch und Blut, ein Volk von Kriegern - vielleicht die besten der Welt. Deine Mutter Brekhna sollte eines Tages die Nachfolge ihres Anführers antreten.«
»Eine Frau als Erbin eines Volkes von ghuzat?«, entgegnete Khalidah. »Das klingt allerdings irrsinnig.«
Sulayman zuckte die Achseln. »Du wirst es verstehen, wenn du sie kennen lernst.«
»Wenn ich sie kennen lerne?«, wiederholte Khalidah benommen. »Und wann wird das sein?«
»Der Mond wird mindestens noch zweimal zunehmen, bevor wir Qaf erreichen.«
Khalidah blickte zum Himmel empor. Der Vollmond begann gerade erst abzunehmen. Am liebsten hätte sie laut gelacht, doch stattdessen fragte sie: »Wer bist du, Sulayman?«
Er seufzte. »Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich es nicht weiß.«
»Du bist ein erwachsener Mann, und du bist nicht als Abd al-Hadis Spielmann vom Himmel gefallen. Irgendjemand hat dich aufgezogen und ernährt. Irgendwer hat dich das Musizieren gelehrt und dir Französisch sowie die Kunst, dich wie ein Dieb zu bewegen, beigebracht.«
»Das waren viele verschiedene Menschen«, erwiderte er, hielt dann inne und blickte über den mondbeschienenen Sand hinweg. »Aber das ist etwas anderes. Ich kann dir nicht sagen, wer mein Vater und meine Mutter waren, ich weiß ja noch nicht einmal, wo ich geboren wurde.«
»Dann erzähl mir das, was du weißt«, verlangte sie.
Wieder entrang sich ihm ein Seufzer. »Nun … der erste Ort, an den ich mich erinnere, ist Kairo. Ich habe dort bei einem Steinmetz und seiner Frau gelebt, die ich als meine Eltern betrachtete. Sie hatten keine eigenen Kinder, und als sie mich auf der Straße auflasen, waren sie zu alt, um noch auf welche hoffen zu dürfen. Zum Glück für mich waren sie auch weichherzig und fromm. Sie nahmen mich als Geschenk Allahs bei sich auf.
Ich war glücklich bei ihnen. Sie waren nicht wohlhabend, mussten aber nie hungern, und sie liebten mich von ganzem Herzen. Mein Vater begann mich in seinem Handwerk zu unterweisen. Als ich sieben Jahre alt war, raffte eine Seuche ihn und meine Mutter dahin. Sie hatten keine Verwandten, bei denen ich hätte unterkriechen können, also nahm ich mein Leben auf der Straße wieder auf. Aber ich hatte vergessen, wie man sich dort allein durchschlägt. Als ich auf die Musikantentruppe traf, war ich halb verhungert. Es waren fahrende Musikanten, und einer spielte eine qanun. Ich hatte dieses Instrument noch nie gehört, es zog mich geradezu magisch an. Ich schloss mich ihnen an, während sie in der Stadt waren, aber sie schenkten mir keinerlei Beachtung. Doch als ich ihnen folgte, als sie weiterzogen, konnten sie nicht länger so tun, als gäbe es mich nicht.
Wieder hatte ich Glück. Statt mich fortzuschicken, gab ihr Anführer Umar mir eine Trommel und forderte mich auf, einen bestimmten Rhythmus zu wiederholen. Das Ergebnis muss ihn zufrieden gestellt haben, denn ich durfte die Trommel behalten und wurde sein Lehrling. Ein Musiker nach dem anderen lehrte mich, sein Instrument zu spielen, zuerst die tabla und zu guter Letzt als Krönung die qanun. Ich wuchs bei der Truppe auf, bereiste die Länder des Propheten - gesegnet möge er sein - und beherrschte am Ende jedes Instrument, hatte gelernt, verschiedene
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