Wuestentochter
Tränen alles gebeichtet, während sie sich übergeben hatte, bis nur noch grüne Galle kam. Seit diesem Tag hatte Khalidah kein banj mehr angerührt, weshalb sie jetzt die Wirkung der Droge stärker zu spüren bekam, als sie es je für möglich gehalten hätte. Sie hoffte nur, dass derartige Exzesse während ihres Aufenthalts bei den Mubarak nicht zur Gewohnheit werden würden, sonst war ihre Gesundheit mit Sicherheit bald ebenso angeschlagen wie die Sulaymans.
Aber sein Anblick ernüchterte sie rasch. Die Kohlen in dem Becken waren fast heruntergebrannt. Sie kniete sich neben ihm nieder, während Ghassan neue nachlegte, an denen sogleich rote Flammen zu lecken begannen. Ghassan legte ihm eine Hand auf die Stirn, gab ihm noch etwas Medizin und wandte sich dann an Khalidah.
»Ich muss mich für Radwan entschuldigen«, sagte er. »Ich hätte nicht gedacht, dass er … solchen Gefallen an dir finden würde.« Khalidah warf ihm einen scharfen Blick zu, sagte aber nichts. »Du hast mir nicht gesagt, dass du singen kannst«, meinte er dann in einem ganz anderen Ton, den sie nur allzu gut kannte.
»Doch, das habe ich - du hast mich gefragt, kurz bevor wir gegangen sind, und ich habe dir geantwortet.«
»Das schon … aber ich wusste ja nicht, dass du singen kannst wie … wie …«
Sie sah zu, wie er nach Worten suchte, von denen sie aus bitterer Erfahrung wusste, dass er sie nicht finden würde. Endlich sagte er leise: »Wie dem auch sei, es tut mir leid.«
Sie wischte seine Entschuldigung mit einer Handbewegung beiseite. »Ich werde heute Nacht bei ihm wachen.«
Doch Ghassan schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Du schläfst jetzt«, ordnete er an. »Und du lässt Sulayman schlafen. Morgen wird eine Veränderung eintreten - ob zum Besseren oder zum Schlechteren lässt sich jetzt noch nicht sagen. Dann musst du ausgeruht sein.«
Khalidah wollte Einwände erheben, war aber zu erschöpft, um lange mit ihm zu diskutieren. Schuldbewusst und dankbar zugleich rollte sie sich auf der anderen Seite des Kohlebeckens in ihre Decke und schlief sofort ein.
Am nächsten Morgen wurde sie von einer strahlenden Helligkeit geweckt. Sie kam sich vor, als wäre sie von einem Pferd meilenweit über einen harten Untergrund geschleift worden, und sie spürte, dass irgendetwas nicht so war, wie es sein sollte. Als sie sich mühsam auf die andere Seite drehte, erkannte sie, was anders war: Nach tagelangem Dauerregen schien jetzt wieder die Sonne. Gleißende Strahlen fielen durch die Ritzen in den Schilfwänden, wurden von den Glasgefäßen und den glasierten irdenen Tiegeln zurückgeworfen und schmerzten in ihren Augen. Allmählich fielen ihr die Ereignisse des vergangenen Abends wieder ein: Ghassan, Radwan, die oud, ihre eigene Stimme, die Shánfaras Worten eine neue Bedeutung verlieh. Und dann seltsame Träume von endlosen Wüsten und dem Sirren von Mücken, das sich in eine Stimme verwandelte, die ihren Namen zischte; einen heißen Wind, der an ihren Kleidern und ihren Haaren zerrte, bis sie abwechselnd vor Kälte zitterte oder in der Hitze zu verglühen meinte, und einen dunklen Spalt in der Erde, voller roter Augen und messerscharfer Zähne, denen sie Sulaymans schlaffen Körper zu entreißen versuchte. Sie setzte sich mit einem Ruck auf, woraufhin sich der Raum um sie zu drehen begann. Und dann fiel ihr Blick auf Sulayman. Seine Augen standen offen und waren fest auf sie gerichtet.
Das Schwindelgefühl verebbte. Sie sprang auf. »Es geht dir besser!«
»Aber gesund ist er noch lange nicht«, erklang Ghassans Stimme von seinem im Schatten liegenden Arbeitstisch her. »Ich nehme an, ihr zwei habt euch viel zu erzählen - aber streng ihn nicht zu sehr an, Khalidah. Ich bin bald wieder zurück.« Er erhob sich, verließ das kleine Haus und trat in den hellen Sonnenschein hinaus.
Sulayman richtete sich langsam auf, als Khalidah sich zu ihm an sein Lager setzte, und dann sahen sie einander stumm an, weil keiner von ihnen wusste, was er sagen sollte. Sie fragte sich, ob er wohl den Drang unterdrückte, sie zu umarmen, so wie es ihr bezüglich seiner Person erging, dabei spürte sie aufsteigende Tränen in ihren Augen brennen und unterdrückte sie ärgerlich. »Es tut mir leid …«, begann sie.
»Es tut dir leid?«, unterbrach er sie. »Was geschehen ist, ist allein meine Schuld. Ich war so besessen davon, Khorasan zu erreichen, dass ich an kaum etwas anderes gedacht und die ersten Symptome der Krankheit einfach ignoriert
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