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Wuestentochter

Wuestentochter

Titel: Wuestentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bryant
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Sohn seine Augen sehen konnten.
     

18
    Die Schilfhäuser wurden mudhif genannt, wie Khalidah von Ghassan erfahren hatte, doch das mudhif von Radwan ibn Radwan al-Mubarak war größer, als Khalidah es sich je hätte träumen lassen. Säulen aus zusammengebundenem Schilf stützten die Wände, in die unterhalb der Traufen des Daches aus Binsenmatten kleine, runde Fenster  eingelassen waren. Angeregtes Stimmengewirr und die Klänge einer  na’ay übertönten das Prasseln des Regens.
    Khalidah zog sich ihre Keffieh tiefer ins Gesicht und folgte Ghassan ins Haus. Der Raum wurde von flackernden Öllampen und ein paar Becken mit glühenden Kohlen erleuchtet, auf denen Kaffeekannen warm gehalten wurden. Fast alle Männer des Dorfes schienen sich hier versammelt zu haben. Sie saßen auf Binsenmatten oder wollenen Läufern, hielten kleine irdene Kaffeetassen in den Händen oder teilten sich banj-Pfeifen. Ein schwer gebauter Mann mittleren Alters mit zerfurchtem Gesicht, vorspringender Nase, fleischigen Lippen und kleinen, vom banj bereits glasigen Augen saß auf einem Kissen an der Wand. Er blickte mit vorgetäuschter Gleichgültigkeit zu Khalidah auf. »Wer bist du?«
    »Das ist Khalid ibn Abd al-Aziz«, stellte Ghassan mit einem gewinnenden Lächeln vor. »Er ist bei mir zu Gast. Sein Reisegefährte wurde plötzlich krank. Die beiden werden ein paar Tage bei mir bleiben.«
    »Er ist ziemlich jung dafür«, grunzte Radwan. Khalidah wusste nicht, ob sich seine Worte auf die Reise, den kranken Gefährten oder ihren Status als Ghassans Gast bezogen und was er überhaupt damit meinte. Aber er schien keine Antwort zu erwarten, denn er fuhr fort: »Was kann er denn?«
    Khalidah sah Ghassan ängstlich an. Er lächelte ihr zu, ehe er erwiderte: »Er kann singen, und er kann die oud spielen.«
    »Dann wollen wir ihn uns doch einmal anhören«, sagte Radwan in einem Ton, der besagte, dass er nicht damit rechnete, von Khalidahs Fähigkeiten besonders beeindruckt zu sein. Er schnippte mit den Fingern, woraufhin einer der Männer ihr eine oud reichte, dann lehnte er sich wieder zurück und schien ihre Anwesenheit vollkommen zu vergessen.
    Seufzend ließ sich Khalidah auf einem Läufer nieder und begann das Instrument zu stimmen, was dringend nötig war. Als sie damit fertig war,  legte sie sich die oud in den Schoß und spielte ein paar Tonleitern. Ihre Finger waren aufgrund mangelnder Übung und der langen Stunden, während derer sie die Zügel hatte halten müssen, anfangs noch steif und ungeschickt. Sie ging von den Tonleitern zu Arpeggios über und spürte endlich, wie sich die Muskeln zu lockern begannen. Fast unbewusst verwandelten sich Fingerübungen in eine sanfte, lockende Melodie, die ihr im Kopf herumging, seit sie Domat al-Jandal verlassen hatten.
    Khalidah komponierte nie, unternahm noch nicht einmal den Versuch dazu - sie hatte schon vor langer Zeit herausgefunden, dass es zu nichts führte. Wenn die Musik zu ihr kam, kam sie von selbst; ein neues Lied blieb ein Mysterium für sie, bis ihre Finger die Saiten berührten. Und so hatte sie auch an diesem Abend in Radwans mudhif keine feste Vorstellung davon, welche Worte aus ihrem Mund strömen würden, bis sie zu singen begann, und dann passte das Lied so perfekt zu der Melodie, als habe sie es in stundenlanger Arbeit darauf abgestimmt.
    Schmal wie die Sichel des neuen Mondes  aschfahl von Antlitz, wie Pfeilschäfte,  die in der Hand  eines Spielers klirren …  so erhebt er in der Einsamkeit die Stimme.  Die anderen fallen ein  als wären er und sie allein zurückgebliebene Frauen,  die hoch oben auf dem Hügel klagen.  Seine Lider schließen sich. Er verstummt.  Sie folgen ihm.  Sie, er, verloren, verlassen  teilen das Leid ihrer Herzen,  und ringen darum,  die Fassung zu wahren  und ihr Geheimnis nicht preiszugeben.
     
    Sie sang weiter, ohne die Männer zu beachten, die jetzt verzückt lauschten, wie sich Shánfaras alte Worte mit einer Musik vereinten, die als monotoner Gesang einer halb verrückten, am Rand einer Wüstenstadt unablässig in ihrem Kessel rührenden Frau begonnen hatte. Doch als sie zu den Zeilen über die Wüstentochter kam, geriet sie ins Stocken.
    »Niemand hat dir erlaubt, einfach aufzuhören«, bellte Radwan.
    »Entschuldige.« Khalidah stimmte das Instrument überflüssigerweise noch einmal. »Die oud liebt den Regen nicht.«
    Radwan musterte sie unter seinen schweren Lidern eindringlich. »Du bist kein gewöhnlicher

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