Wuestentochter
merken, dass du nicht da bist. Ich warte auf dich - sei pünktlich.« Und dann huschte er davon; eine schlanke, zierliche Gestalt, die rasch von der Menge verschluckt wurde.
Salims Voraussage bewahrheitete sich: Gegen Mittag hatte jeder Mann im Lager von dem bevorstehenden Aufbruch des Sultans gehört. Gerüchte über ein privates Treffen mit einem der fränkischen Befehlshaber - Graf Tripolis, Gérard de Ridefort oder gar König Guy persönlich - verbreiteten sich in Windeseile. Die Wahrheit war wie immer sehr viel profaner. Fast zwei Wochen des muharram, des Monats, in dem die meisten Pilger ihre Hadsch verrichteten und sich somit auf dem Heimweg von Mekka befanden, waren bereits verstrichen. Die ersten Karawanen mussten Outremer inzwischen erreicht haben, und Saladin wusste, welch nahezu übermächtige Versuchung sie für Brins Arnat darstellten. Da der Sultan weitere Überfälle befürchtete, verließ er seine stetig wachsende Armee, um mit seinen Elitetruppen die Pilgerstraße zu schützen.
Sowie sich die erste Aufregung gelegt hatte, nahm das Lagerleben wieder seinen gewohnten Gang. Nach dem Frühstück wurden Übungen zu Pferde abgehalten, bei denen Bilal wesentlich besser abschnitt als bei den nachfolgenden Schwertkämpfen. An diesen nahm er freiwillig teil; als Beduinenkavallerist kämpfte er nicht mit dem Schwert, sondern mit dem langen Speer, den man ihn zu handhaben gelehrt hatte, seit er auf einem Pferd sitzen konnte. Er redete sich ein, den Umgang mit dem Schwert aus rein persönlichem Interesse erlernen zu wollen, wusste aber tief in seinem Inneren, dass er es Salims wegen tat. Der Prinz benutzte wie alle jungen Männer seines Standes ein Schwert wie seinen verlängerten Arm, und Bilal wollte sich nicht wegen seiner Ungeschicklichkeit vor ihm schämen müssen. Also schwang er die Waffe durch die Luft, tränkte den glühend heißen Sand mit seinem Schweiß und dachte über Salims Geheimnis nach.
Als er am späten Nachmittag in sein Zelt zurückkehrte, war seine Neugier in fiebrige Vorfreude umgeschlagen, daher missfiel es ihm zutiefst, dass er Numair weder betrunken noch in den Armen der versprochenen Hure vorfand, sondern nüchtern, frisch gewaschen und offensichtlich ungeduldig auf ihn wartend.
»Zieh dich um«, befahl Numair. »Und vergiss nicht, deine Waffen anzulegen. Ich habe einen Auftrag für dich.«
Bilal schüttelte den Kopf. »Was für einen Auftrag?«
»Du hast keine Fragen zu stellen.« Numair bedachte ihn mit demselben harten, kalten Blick, mit dem er am Abend jener verhängnisvollen Hennazeremonie Khalidah gemustert hatte. Bilal erschauerte. Erstmals brachte er Verständnis für ihre überstürzte Flucht auf. »Wenn ich dir einen Auftrag erteile, dann führst du ihn widerspruchslos und mit einem Lächeln auf den Lippen aus.«
»Das kann ich diesmal nicht«, hörte sich Bilal zu seinem eigenen Erstaunen sagen.
Numair erstarrte. »Das kannst du diesmal nicht?«, wiederholte er mit messerscharfem Spott. »Hast du vergessen, weswegen wir hier sind? Was ist denn so wichtig, dass es dich von deinen Pflichten abhält?«
»Eine Verabredung«, stieß Bilal hervor, der seine Aufsässigkeit bereits bereute.
»Mit dem Balg des Sultans zweifellos«, stellte Numair fest. Bilal erwiderte nichts darauf. Sein Gesicht brannte; ob vor Zorn oder vor Scham, konnte er nicht sagen. »Glaubst du, mir ist nicht aufgefallen, wie viel Zeit du mit ihm verbringst? Was für ein Spiel spielst du, kleiner Vetter?«
Bilal hasste sich für die Lüge, zu der er greifen musste, doch Numair hasste er noch weit mehr. Kalt erwiderte er: »Nein, ich habe nicht vergessen, weshalb wir hier sind. Und in Anbetracht des dringenden Wunsches deines Herrn, über die Pläne des Sultans auf dem Laufenden gehalten zu werden, hätte ich eigentlich gedacht, es wäre dir sehr recht, wenn ich mich mit seinem Sohn anfreunde.«
»Du hast kein Talent zu einem Ränkeschmied.« Die eisig glitzernden Augen schienen Bilal zu durchbohren. »Sei auf der Hut, kleiner Vetter. Prinzen geben gefährliche Liebhaber ab.«
»Was unterstellst du mir?«, fuhr Bilal auf. »Wir sind kein …«
Numair schnitt ihm mit einem hässlichen Kichern das Wort ab. »Spar dir deinen Atem, Bilal. Ob du ihn vögelst oder nicht ist mir vollkommen egal - solange du nicht versuchst, mich zu hintergehen. Denk daran, dass das Leben deiner Mutter in meiner Hand liegt.«
Wie könnte ich das vergessen, dachte Bilal erbittert. Dieses Wissen verdunkelte jede Minute
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