Wuestentochter
Ungewöhnlicheres vorstellen?« Salim schüttelte den Kopf. »Mein Vater sagt, bald wird der Platz für die Garnison nicht mehr ausreichen. Er will es vergrößern.«
»Du warst schon einmal hier?«
Salim sah Bilal überrascht an. »Nein. Ich habe nur davon gehört und gelesen. Aber ich wollte es immer schon gern selbst sehen, und ich wollte, dass du dabei bist.«
Diese schlichte, warmherzige Zuneigungsbekundung rührte Bilal zutiefst. Viel später sollte er sich fragen, warum es gerade dieser und nicht einer der unzähligen früheren Freundschaftsbeweise gewesen war, der seinen Widerstand gebrochen hatte. In diesem Moment war er sich jedoch nur fast schmerzlich des alten Mauerwerks bewusst, das wie ein mächtiger Berghang vor ihm aufragte, und verspürte nur einen einzigen Wunsch: dass es just in diesem Augenblick, in dem er dem Glück so nah war wie nie zuvor, in sich zusammenstürzen und ihn zermalmen möge. Aber die Steine schienen ihn nur anzublicken, ohne ihn zu verurteilen oder von seinen Sünden loszusprechen, und so sank Bilal neben Salim auf der Bank zusammen, barg den Kopf in den Händen und begann bitterlich zu schluchzen.
»Was hast du denn?«, erkundigte sich Salim besorgt.
»Ich …« Bilal stockte. »Ich kann nicht …« Er brach ab und blickte zu Salim auf, der ihn verwirrt musterte. »Warum hast du mich gewählt, Salim? Warum ausgerechnet mich?«
Salim schwieg einen Moment lang, dann erwiderte er: »Weil mein Vater darauf wartet, dass ich versage.« Seine Stimme zitterte leicht. »Er hat mir dieses Kommando übertragen, um mir - und sich selbst - zu beweisen, dass ich unfähig bin, mir bei den Männern den notwendigen Respekt zu verschaffen, und ich meinte, da ich egoistisch und zweifellos genauso schwach bin, wie er glaubt, all das nicht ohne einen Freund an meiner Seite ertragen zu können. Aber wenn du lieber gehen möchtest …«
»Nein!«, entfuhr es Bilal, den sowohl Salims Geständnis als auch der Gedanke an eine Trennung von ihm bis ins Mark traf. »So habe ich das nicht gemeint. Ich konnte ja nicht wissen, dass mich dein Vater … ich wollte nur wissen, warum du gerade mich zu deinem Freund auserkoren hast?«
»Wäre es dir lieber gewesen, ich hätte es nicht getan?«, fragte Salim.
»Das meinte ich auch nicht. Allah sei mir gnädig … ich weiß einfach nicht, wie ich es ausdrücken soll.« Bilal sah Salim, der geduldig auf eine Erklärung wartete, hilflos an. Er konnte ihn nicht länger belügen, er musste ihm endlich die Wahrheit gestehen und die daraus resultierenden Konsequenzen auf sich nehmen. »Du bist der beste Freund, den ich je hatte«, begann er tonlos. »Und trotzdem war ich dir gegenüber nicht aufrichtig.«
»Du hast meine Freundschaft angenommen und mir im Gegenzug die deine geschenkt«, entgegnete Salim erstaunt. »Daran kann ich nichts Falsches finden.«
»Aber wenn du nur wüsstest … wenn du in mein Herz blicken könntest …«
»Ah, ich glaube, das kann ich«, unterbrach ihn Salim. Überrascht registrierte Bilal, dass er zu lächeln begonnen hatte; ein Lächeln, hinter dem sich entschieden mehr als Verständnis, Vergebung und Zuneigung verbarg. »Warum hast du nicht schon viel früher mit mir darüber gesprochen?«, fuhr Salim fort, dabei streckte er behutsam eine Hand nach ihm aus. »Ich kann es nicht ertragen, dass du dich quälst, nur weil du denkst … nun, ich weiß ziemlich genau, was du denkst.« Unerschütterliche Überzeugung schwang in seinen Worten mit.
»Nein«, flüsterte Bilal, doch jetzt ruhte Salims Hand auf seiner Wange, und er spürte, wie eine nie gekannte Wärme sein kaltes Herz durchströmte.
»Ich kenne die Ansichten der Beduinenstämme, Bilal, aber ich kann nicht glauben, dass Liebe eine Sünde ist - egal in welcher Form sie auftritt.«
Er hob Bilals rechte Hand, berührte die Handfläche mit den Lippen, dann beugte er sich vor, um seine Stirn und endlich seinen Mund zu küssen und hinderte Bilal so daran, eine Wahrheit laut auszusprechen, die er sich lange nicht hatte eingestehen wollen. Bilal ahnte, dass ihn nun ewige Verdammnis erwartete, aber das kümmerte ihn nicht mehr. Für ihn existierte nichts mehr auf der Welt außer dem Wunder von Salims Lippen auf den seinen, und willig versank er in der Umarmung des Freundes.
22
Am nächsten Morgen aß Sulayman fast nichts, beantwortete aber jede von Khalidahs besorgten Fragen nach seinem Gesundheitszustand mit einem unwilligen Knurrlaut. Ehe sie aufbrachen, verabreichte ihm
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