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Wuestentochter

Wuestentochter

Titel: Wuestentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bryant
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steinerne Hütte.
    Den größten Teil des geräumigen Inneren bildete eine natürliche Höhle in dem Fels, die durch Steinwände etwas ausgeweitet worden war. In der Mitte dieses Raumes brannte ein Feuer, dessen Rauch durch ein Loch in der Decke abzog. Es roch nach frisch bearbeiteter Erde. Als Khalidahs Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sah sie auch den Grund dafür. Die gesamte Höhle war mit Pflanzen gefüllt, die direkt aus dem Felsstein zu wachsen schienen; von zarten Gebirgsblumen bis hin zu großen tropischen Bäumen. Die wenigen freien Flächen waren mit Binsen und süß duftenden Kräutern bedeckt, über die sich die Pferde sofort hermachten.
    Es dauerte einen Moment, bis Khalidah die winzige Frau bemerkte, die neben dem Feuer kniete. Sie vermittelte den Eindruck einstiger großer Schönheit, obwohl ihre Züge bis auf die klaren grünen Augen eher unauffällig zu nennen waren, und sie strahlte trotz ihres von Falten durchzogenen Gesichts und der wirren grauen Haare eine Aura von Jugend und Vitalität aus. Als sie den Kopf hob und lächelte, wusste Khalidah plötzlich mit absoluter Sicherheit, dass Sulayman am Leben bleiben würde.
    »Sayyida.« Ghassan kniete vor der alten Frau nieder.
    Sie nickte leicht, sah aber nicht ihn, sondern Khalidah an, dann legte sie ihm eine Hand auf den Kopf, woraufhin er augenblicklich  in einen tiefen Schlaf fiel. Dann winkte sie Khalidah mit einer knorrigen Hand zu sich. Mit letzter Kraft zerrte Khalidah Sulayman zum Feuer hinüber. Die alte Frau nickte noch einmal lächelnd, als sie ihn vor ihren Füßen zu Boden sinken ließ.
    »Armes kleines Ding, so verloren und verlassen«, sagte sie mit einer Stimme, die dem leisen Rauschen des Windes in Palmwedeln glich, und obwohl sie im Vergleich zu Sulayman geradezu zwergenhaft winzig wirkte, erschien Khalidah die Bemerkung ganz natürlich. Sie legte eine Hand auf Sulaymans brennende Stirn.
    »Kannst du ihn retten?«, fragte sie.
    Die Frau blickte erneut zu ihr auf. Tiefes Mitleid stand in ihren Augen zu lesen. »Ich kann den Tod abwenden«, erwiderte sie.
    »Dann tu, was in deiner Macht steht«, beschwor Khalidah sie.
    »Alles zu seiner Zeit.« Die Frau fuhr fort, Sulaymans Gesicht zu streicheln, als sei er ihr liebstes Haustier. Ihre Augen schienen bis auf den Grund von Khalidahs Seele zu blicken. »Was ist mit dir?«, fragte sie. »Warum bist du hierhergekommen?«
    »Seinetwegen«, entgegnete Khalidah mit fester Stimme.
    »Das ist nicht der alleinige Grund«, meinte die Frau. »Und es hilft dir nicht, wenn du es ableugnest. Jede Sehnsucht nach einem Ort oder einem Menschen hat eine Bedeutung, Khalidah. Würde es dir Trost bringen, etwas über dein Schicksal zu erfahren?«
    Khalidah sah sie ängstlich, verwirrt und zutiefst erschöpft an. »Sollte es das denn?«
    Die Frau schenkte ihr ein überraschend süßes Lächeln. »Du stellst die richtigen Fragen - bei jungen Menschen findet man diese Gabe selten. Nun gut, dann werde ich dir nur eines sagen: Indem du dich für Shambala entschieden hast, hast du die richtige Wahl getroffen.«
    »Shambala?«
    »Shambala … Eden … Qaf …« Die Frau zuckte die Achseln. »Aber die richtige Wahl führt nicht zwingend zu innerem Frieden. Deine  Straße beschreibt viele Biegungen. Manche führen zu Krieg, manche zu Frieden, manche zu schmerzlichen Verlusten, andere zu großer Freude. Du wirst von vielen betrauert werden, wenn du einst nicht mehr bist.« Sie brach ab. Ihre grünen Augen glitzerten. »Bist du sicher, dass du nicht noch mehr erfahren willst?«
    Khalidah nickte nachdrücklich. Die Frau lächelte erneut, und diesmal schien Zustimmung in diesem Lächeln zu liegen. »Du hast große Mühe auf dich genommen, um ihn hierherzubringen. Aber nun ist er in Sicherheit. Schlaf jetzt.«
    Khalidah wollte protestieren, merkte aber, dass sie die Augen kaum noch offen halten konnte. Also streckte sie sich auf dem Boden aus, und dann schien plötzlich ein Kissen unter ihrem Kopf zu liegen und eine Decke über sie gebreitet zu sein, obwohl sie sicher war, dass beides einen Moment zuvor noch nicht da gewesen war. Das Letzte, was sie sah, bevor der Schlaf sie übermannte, war die alte Frau, die Kräuter in einem Kupferbecken zerstieß und dabei Khalidahs Melodie zu Shánfaras Ode summte.
     Khalidah träumte, sie fiele durch Zeit und Raum. Ab und an flammten Szenen mit kristallener Klarheit vor ihr auf. Sie sah in Pelze gehüllte Menschen in einem Land aus Eis, dann das junge Grün neu

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