Wuestentochter
störrische Stute unter ihr unter Kontrolle zu halten, dass sie außer dem feuchten Wind, der gleißend hellen Sonne und der Luft, die so dünn und kalt war, dass sie kaum atmen konnte, nichts von ihrer Umgebung wahrnahm. Wie aus weiter Ferne hörte sie, dass Sulayman gleichfalls keuchend nach Atem rang.
Am Nachmittag verlor er das Bewusstsein. Wie an jenem furchtbaren Tag, an dem ihn das Fieber zum ersten Mal überwältigt hatte, begann er im Sattel zusammenzusacken und schließlich vom Rücken des Ponys zu rutschen. Nach kurzem Beratschlagen kamen Ghassan und Khalidah überein, dass sie, da sie weniger wog als Ghassan, am besten dazu geeignet war, mit Sulayman auf einem Pferd zu reiten. Und so saß sie einmal mehr hinter ihm im Sattel, stützte ihn mit einem Arm und lenkte das geduldige Pony mit der anderen Hand. Ghassan kämpfte hinter ihr mit Zahirah und Asifa, während sie sich den steinigen Pfad hinaufquälten.
Sulayman, jetzt im tödlichen Strom seiner Alpträume gefangen, klammerte sich an einen letzten Rest bewusster Wahrnehmung wie ein Ertrinkender an einen im Wasser treibenden Baumstamm. In seinem Delirium stammelte er unverständliche, unzusammenhängende Worte, deren Sinn Khalidah vergeblich zu erfassen versuchte. Sie peinigten sie viele Stunden lang, bis ihr aufging, dass das Geräusch, das ihn noch mit dem Leben verband, das Schlagen ihres eigenen Herzens war.
Am späten Nachmittag durchwateten sie den Pasitigris und machten kurz Halt, um die Pferde zu tränken. Vor ihnen erstreckte sich eine weitläufige, grasbewachsene Ebene, doch Khalidah hatte nur Augen für das dahinter erneut ansteigende Gelände. Ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken, doch als Ghassan Wasim darauf zulenkte, folgte sie ihm ohne Protest. Sie wusste, dass es Wahnsinn war, so kurz vor Einbruch der Nacht in die Berge zurückzureiten, aber sie wusste auch, dass Sulayman den Morgen vielleicht nicht mehr erleben würde. Er schien innerlich zu verglühen; zitterte in ihren Armen wie Espenlaub, und allein das hätte ausgereicht, um sie unermüdlich weiterzutreiben.
Zum Glück war der Mond fast voll, und der Himmel blieb klar. Es fiel ihnen nicht schwer, den Pfaden zu folgen, wenn Ghassan sie gefunden hatte, doch dies bereitete ihm zunehmende Schwierigkeiten. Die Sicherheit, mit der er sie tags zuvor geführt hatte, war verflogen, und jedes Mal, wenn sich die Wege gabelten, blieb er stehen und grübelte darüber nach, welchen sie einschlagen mussten. Khalidah bemühte sich, ihr Temperament zu zügeln, doch endlich konnte sie nicht länger an sich halten und platzte heraus: »Warum zögerst du so lange? Siehst du denn nicht, dass er uns unter den Händen stirbt?«
Ghassan drehte sich müde zu ihr um. »Weil seine einzige Chance - und unsere, wohlgemerkt - darin besteht, dass ich den richtigen Weg finde. Aber wenn du dich lieber in die nächstbeste Schlucht stürzen und allem Elend ein Ende bereiten willst …«
»Schon gut«, lenkte sie ein. »Sag mir nur eins: Warst du schon einmal an dem Ort, zu dem du uns bringst?«
Ghassans Blick verriet ihr alles, was sie wissen musste. Seufzend trieb Khalidah ihr erschöpftes Pony weiter.
Sie ritten die ganze Nacht hindurch. Die Luft wurde noch dünner und kälter, der Pfad immer trügerischer, bis sie sich gezwungen sahen, abzusteigen und die Pferde am Zügel zu führen. Khalidah brachte Ghassan dazu, Sulayman auf Wasims Rücken zu setzen, weil das Pony ihrer Meinung nach nicht mehr lange durchhalten konnte, und der große Wallach enttäuschte sie nicht. Obwohl Sulayman schlaff über seinem Hals hing und nichts tat, um ihn zu lenken, achtete Wasim so genau darauf, wo er hintrat, dass Khalidah nur an den steilsten Stellen helfen musste, seinen Reiter im Sattel zu halten. Schneeglitzernde Gipfel umgaben sie wie Wellen auf einem gefrorenen Meer. Khalidah spürte schon bald ihre Hände und Füße nicht mehr. Der eisige Wind fraß sich erbarmungslos durch ihre Kleider. Endlich stieg ihr ein kaum merklicher Geruch nach Holzrauch in die Nase, und sie stieß einen erleichterten Seufzer aus.
»Wir sind da«, bestätigte Ghassan.
Khalidah folgte seinem ausgestrecken Finger mit den Augen. Im letzten Mondlicht konnte sie ganz am Rand des Berggrats, unmittelbar bevor er ins Nichts abfiel, ein Gebilde ausmachen, das einem Steinhaufen glich, dem eine dünne Rauchsäule entwich. Als sie näher kamen, schimmerte schwacher Lichtschein vor ihnen auf, und sie traten durch eine schmale Tür in eine
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