Wuestentochter
ihren und berührte damit ihre Stirn. »Danke für alles, Ghassan. Und es tut mir leid …«
»Dir muss nichts leidtun«, erwiderte Ghassan. »Führe auch weiterhin ein rechtschaffenes Leben.« Er küsste sie auf die Stirn, dann führte er sein Pferd zur Tür und verschwand im Licht der aufgehenden Sonne.
23
»Still!«, flüsterte Bilal, dabei legte er Salim eine Hand auf den Mund. »Man wird dich hören.«
Der Prinz schob die Hand zur Seite und verflocht seine Finger mit denen Bilals. »Das Geheimnis der Liebe.« Seine Augen glitzerten im Licht der Öllampe schelmisch. »Wie kann es gewahrt werden?«
»Ich weiß es nicht, aber du musst lernen, es zu bewahren, wenn du nicht willst, dass sich deine Leibwächter zu uns gesellen.«
»Das wäre vielleicht ganz unterhaltsam.«
»Du bist ein hoffnungsloser Fall.« Bilal rollte sich von ihm weg.
Doch nach einem Moment spürte er Salims Finger auf seinem Rücken, und als der Prinz erneut das Wort ergriff, dämpfte er seine Stimme merklich. »Du gleichst einem stolzen Hirschen, hast das Herz eines Panthers … mein Leben liegt in deiner Hand, es gehört allein dir …«
»Ein Gedicht?«, fragte Bilal, der Salim nie lange böse sein konnte. »Von dir?«
Salim lachte leise. »Ganz sicher nicht.« Er küsste Bilals Schulter. »Deine Lippen gleichen scharlachroten Blüten, die wie Feuer brennen, denn sie sind dein Weihrauchgefäß …«
»Der Dichter spricht von Allah«, unterbrach ihn Bilal.
»Von Jahweh, um genau zu sein. Es stammt von Isaak ibn Abraham. Einem Juden aus Al-Andalus.«
Bilal erwiderte nichts darauf. Er schämte sich für seine Unwissenheit.
»Aber was heißt das schon?«, fuhr Salim, der Bilals Verlegenheit nicht bemerkte, fort. »Sagen die Sufis nicht, dass sich das Antlitz Allahs in der Liebe zeigt, die zwei Lebewesen füreinander empfinden?«
»Tun sie das?« »Wenn man diese beiden Wesen betrachtet und ihnen lauscht, dann versteht man, dass Allah sich manchmal offenbart, wenn sie zusammenkommen. So steht es geschrieben.«
Bilal erschauerte angesichts der Schönheit dieser Worte und der Leidenschaft, mit der Salim sprach. Er wünschte sich schmerzlich, es ihm gleichtun zu können. Manchmal kam es ihm so vor, als mache das Grübeln über seine Unzulänglichkeit den größten Teil seiner Liebe zu Salim aus; ein Gefühl, das sich verstärkte, als dieser sein Schweigen völlig falsch deutete.
»Glaubst du immer noch, dass das, was wir tun, falsch ist?«, fragte er.
»Nein.« Bilal holte tief Atem und drehte sich zu ihm um. Salims Augen schimmerten im Lampenschein tiefschwarz. »Das habe ich nie geglaubt. Es ist nur so … manchmal wird mir bewusst, dass ich deiner nicht würdig bin.«
»Wie kannst du so etwas sagen?« Salim sah ihn fassungslos an.
Wenn du nur wüsstest, dachte Bilal seufzend. »Ich kenne keine Gedichte und weiß noch nicht einmal die Hälfte von all dem, was für dich selbstverständlich ist.«
»Das ist kein Problem. Ich werde aus Damaskus Bücher kommen lassen …«
»Die ich nicht lesen kann«, unterbrach Bilal ihn bitter.
»Dann bringe ich es dir bei«, erbot sich Salim ohne Zögern.
Von der schlichten Aufrichtigkeit dieses Angebots überwältigt platzte Bilal heraus: »Khalidah hat immer gesagt, eines Tages würde sie ihren Vater um einen Lehrer bitten, der uns beiden Lesen und Schreiben beibringt …« Er brach ab und biss sich auf die Lippe, aber es war zu spät.
»Khalidah?«, wiederholte Salim mit plötzlichem Interesse. »Ist das nicht die Frau, die dein Vetter Numair heiraten sollte?«
»Ja«, bestätigte Bilal nach einer kurzen Pause.
»Aber ich denke, die beiden Lager eures Stammes sind seit langer Zeit verfeindet? Wie kommt es dann, dass für dich die Möglichkeit bestand, von ihrem Lehrer mit unterrichtet zu werden?«
Kein Argwohn schwang in seiner Stimme mit, nur Neugier. Bilal holte tief Atem. »Weil ich in Abd al-Aziz’ Lager aufgewachsen bin, nicht in dem von Abd al-Hadi. Meine Mutter hat sich nach dem Tod von Khalidahs Mutter um Khalidah gekümmert. Ich habe mich mit Numair zusammengetan, weil …« Er fragte sich, wie nah er bei der Wahrheit bleiben sollte. »Vermutlich indirekt wegen Khalidah. Als sie verschwand, herrschte heillose Verwirrung. Niemand wusste, ob wir uns noch im Krieg miteiander befanden oder nicht. Dann erfuhren wir, dass dein Vater den Dschihad ausgerufen hatte, und die Diskussion darüber, ob wir Khalidah folgen sollten, wurde von der Frage verdrängt, ob es ratsam war, sich
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