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Wuestentochter

Wuestentochter

Titel: Wuestentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bryant
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schweifte über die verfallenen Holzhütten, die von Ranken und vertrocknetem Buschwerk überwucherten hölzernen Zäune und die knorrigen Obstbäume hinweg, die im Sand hinter ihnen ihr karges Dasein fristeten.
    »Ein Sturm.« Sulayman versuchte die Tür einer der Hütten zu öffnen, die ihm prompt entgegenfiel. »Auf die Oasen in der Dasht-e-Lut darf man nicht auf Dauer bauen. Ein paar Jahre lang werden sie vom Frühlingsschmelzwasser oder einem qanat gespeist, und die Menschen können ein wenig Getreide anbauen und Weiden für ihr Vieh anlegen. Dann kommt plötzlich ein Sandsturm auf, und über Nacht stirbt die Oase und mit ihr alles Leben.«
    »Und was wird aus den Menschen, die sich hier angesiedelt haben?«, fragte Khalidah.
    Sulayman zuckte die Achseln. »Sie ziehen weiter. Deswegen bauen sie auch nur diese primitiven Hütten.« Er stieß die aus den Angeln gefallene Tür mit dem Fuß an, dann führte er die Pferde seufzend in den am besten erhaltenen Schuppen und wählte den zweitbesten für sich und Khalidah. Das Holz war knochentrocken und so zusammengeschrumpft, dass breite Ritzen zwischen den Brettern entstanden waren. Die ganze Konstruktion erzitterte bei jedem Windstoß. »Zumindest herrscht hier kein Mangel an Feuerholz«, stellte Sulayman fest, dann runzelte er die Stirn. »Hörst du das? Der Wind frischt auf.«
    Khalidah erschauerte, als sie sich in ihrem provisorischen Unterschlupf umsah. Wenn sie doch nur ein Zelt aus Ziegenhaut zur Verfügung hätten! Sie hasste diese tote Einöde, und sie wusste, dass sie unter Umständen tagelang hier ausharren mussten, falls der Wind sich zu einem Sandsturm auswuchs. Wenigstens hatten die Pferde ein Dach über dem Kopf, versuchte sie sich zu trösten, und sie waren mit ausreichend Vorräten versehen.
    Sulayman entfachte ein Feuer und brachte Wasser zum Kochen, um Tee aufzubrühen. »Heute ist ein guter Abend für die qanun«, meinte er, nachdem sie ihre Mahlzeit beendet hatten, dann wickelte er das Instrument aus den Leinentüchern, stimmte es, erklärte Khalidah die Grundzüge der Spieltechnik, zeigte ihr, wie man ein Plektron benutzte, und gab ihr ein paar Übungen vor. Dankbar für die Ablenkung von dem unheimlichen Geheul des Windes draußen wiederholte Khalidah sie gehorsam, bis Sulayman - der sich als strenger Lehrer erwies - sie als passabel bezeichnete.
    »Spielst du jetzt etwas für mich?«, bat sie dann.
    Sulayman nahm ihr das Instrument wortlos ab, und dann begann er wie in der Nacht ihrer verhängnisvollen Hennazeremonie sacht an den Saiten zu zupfen, bis sich eine süße Melodie formte. Nach einer Weile fing er an zu singen, und Khalidah lauschte wie gebannt der Ballade von einer tragischen Liebe.
    Selbst jetzt noch  Sind meine Gedanken erfüllt von der goldenen  Königstochter.  Girlandengeschmückt, mit Blütenknospen  In den reichen Flechten schwarzen Haares.  Vor Liebe erzitternd, Qualen erleidend  Ich klammere mich an verlorene Sehnsucht  Die mir des Nachts den Schlaf raubt  Und beschwöre ihr Bild in meiner Seele herauf …
     Selbst jetzt noch  Wo mein Herz sich vor Gram verzehrt  Scheinen die Wände meines Kerkers zu bersten  Ich sehe ein Licht, und in dem Licht ein Mädchen  Die Finger in den Wellen des Haares vergraben  Die kühlen weißen Arme im Sonnenlicht erhoben  Rosig schimmern die Ellbogen, und die sanften Augen  Blicken traumverloren in die Ferne …
    Der Wind rüttelte an den Wänden der verfallenen Hütte, doch Khalidah hatte nur Ohren für Sulaymans Worte, die sich wie glühende Pfeile in ihr Herz zu bohren schienen. Ein Bild nahm vor ihren Augen Gestalt an: eine junge Frau, kaum dem Kindesalter entwachsen, in flatternde Seide von der Farbe junger Blätter gehüllt, mit glatter weißer Haut und einer schwarzen Haarflut, die fast zu schwer für die zierliche Gestalt erschien. Glasperlen klirrten, als sie die Arme hob und ein Lächeln ihr Gesicht erhellte …
    Selbst jetzt noch  Wo sie so fern von mir ist, schweben Vögel  Über die Kronen der Bäume im Tal hinweg  Ziehen an meinem Kerker vorbei, locken mich mit ihren Rufen  »Oh, lasst sie mich nur ein Mal wiedersehen …«  Selbst jetzt noch  Wird für mich nur noch ein neuer Tag anbrechen  Die Sterne kündigen die Nacht an, und ich  Bin bereit …
    Das in helles Licht getauchte Mädchen wurde zu flackerndem Lampenschein auf der Wand eines Gefängnisverlieses. Sulayman fuhr mit seiner klagenden Weise fort:Selbst jetzt noch  War mir bewusst, dass ich 

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