Wuestentochter
Salim.
»Du wolltest mich gewinnen lassen.«
»Das kannst du gar nicht wissen.«
Bilal gab keine Antwort. Einen Moment lang tanzten ein paar Sonnenstrahlen über die Sandsteinhänge des Wadis, dann schloss sich die Wolkendecke wieder. Salim setzte sich auf und wischte mit einer Hand über das Schachbrett. »Sag mir endlich, warum du dich so vor Kerak fürchtest«, forderte er plötzlich.
»Wie meinst du das?«
»Du hast mich genau verstanden. Und leugne es nicht ab; während der letzten drei Tage warst du so still und in dich gekehrt, dass es sogar einem Schwachkopf aufgefallen wäre - und das rührt bestimmt nicht daher, dass ich dich beim Schach schlage.«
Bilal seufzte. »Kerak liegt sehr nah bei Wadi Tawil.«
»So?«, gab Salim zurück. »Sollten wir wirklich auf Angehörige deines Stammes treffen - was ich für äußerst unwahrscheinlich halte - werden sie dir bestimmt keinen Vorwurf mehr daraus machen, dass du fortgegangen bist. Und selbst wenn … du gehörst jetzt zum Gefolge meines Vaters. Er würde nie zulassen, dass sie dir etwas zu Leide tun.«
»Das ist es nicht«, erwiderte Bilal langsam. »Die Vorstellung, wieder dort zu sein … es erinnert mich an all das, was ich nicht bin - und was ich für dich nie sein kann.«
Salims Züge verhärteten sich; er presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Bilal hatte ihn nie zuvor zornig erlebt; es verlieh seinem Gesicht eine gespenstische Ähnlichkeit mit dem seines Vaters. Er sah stumm zu, wie Salim die Schachfiguren einsammelte und jede einzelne mit kalter Präzision in ihren Kasten zurücklegte.
Endlich sagte er: »Das erzählst du mir andauernd, aber es verrät mir nur, dass du selbst dann nicht aufrichtig bist, wenn du bei mir liegst.«
Die Worte trafen Bilal wie ein Schlag. »Wie kannst du so etwas sagen?«
»Wie könnte ich nicht?«, erwiderte Salim matt, und dann schleuderte er in einer Geste wilder Verzweiflung den Kasten mit den Figuren quer durch das Zelt, wo sie sich über den Boden verteilten. Doch noch mehr als dieser Zornesausbruch erschütterten Bilal die Tränen in seinen Augen. Trotz allem, was sich zwischen ihnen abgespielt hatte, hatte er nie wirklich geglaubt, Salim würde ihm ernsthafte Gefühle entgegenbringen. Jetzt sah er, dass er einem Irrtum unterlegen war, und diese Erkenntnis verwirrte ihn zutiefst.
Salim fuhr hitzig fort: »Glaubst du, ich empfinde nur körperliche Lust für dich? Weißt du, dass ich wach bleibe, wenn du schläfst, nur um dein Gesicht anschauen zu können?« Er krallte die Finger in den Sandboden und atmete einige Male tief durch. »Es gibt nichts, was ich nicht für dich tun würde … und dir liegt scheinbar überhaupt nichts an mir, denn sonst würdest du mir vertrauen!«
»Als ob das so einfach wäre!«, fuhr Bilal seinerseits auf. Er war froh, dass der Wind ihre Worte davontrug, ehe sie an die falschen Ohren dringen konnten. »Du bist doch in deinem Leben noch nie mit einer bitteren Wahrheit konfrontiert worden!«
»Oh doch«, hielt ihm Salim bitter entgegen. »Jedes Mal, wenn ich mich von dir vögeln lasse, obwohl ich weiß, dass du mich nicht liebst.«
Die hässlichen Worte hallten in Bilals Ohren wider, doch tiefer noch traf ihn die Erkenntnis, dass er sie verdient hatte. Er blickte Salim an, und erstmals sah er ihn so, wie er wirklich war. Statt Anmut und Schönheit sah er ein mit Staub und Tränen verschmiertes Gesicht; statt eines Königssohnes einen Jungen, der versuchte, sich in einer Welt, die ihn nicht brauchte, als Mann zu erweisen.
Sein Herz wurde bleischwer, als er langsam nickte. »Nun gut.« Er hielt inne und versuchte, seine wild in seinem Kopf umherwirbelnden Gedanken zu ordnen, dann begann er: »Die Wahrheit, Salim, lautet, dass ich gar nicht Numairs Vetter bin.«
»Das hast du mir bereits gesagt.«
»Ich weiß, aber ich habe dir verschwiegen, dass ich mit den Hassani überhaupt nicht blutsverwandt bin. Ich bin der Bastard einer Dienerin und eines Tempelritters … nein, nicht irgendeines Tempelritters, sondern ihres Großmeisters, Gérard de Ridefort.« Er brach ab und wartete auf eine Reaktion Salims.
Dieser wischte sich mit einem schmutzigen Ärmel über das Gesicht, holte tief Atem und fragte dann: »Ist das alles?«
Bilal stieß einen Laut aus, der irgendwo zwischen Lachen und Schluchzen lag. »Ich würde meine Seele dafür geben, wenn das alles wäre. Mein Vater ist ein Verräter, Salim, und ich ebenso. Ich bin als informateur hier, als Spion.«
Salim sah
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