Wüthrich, G: Dölf Ogi: So wa(h)r es!
Blüemlisalphütte hinauf – 2 840 Meter über dem Meeresspiegel. Kaum ist die Hütte erreicht, läutet das Telefon. Dölf!
Sie schwärmt noch heute von den absolut schönen Winterspielen – mit grossen Erfolgen für die Schweiz. Es werden die Spiele des Bobfahrers Gusti Weder, der Slalomkünstlerin Vreni Schneider und des Freestyle-Springers Andreas «Sonny» Schönbächler. Dreimal Gold.
Die beiden Freunde haben sich längst wieder gefunden. Jahre später reist Dölf Ruth dann doch einmal nach. Nicht nach Lillehammer, sondern in die heimatliche Kandersteger Bergwelt. Während Ruths Kindheit verbringt Familie Dreifuss nämlich regelmässig die Sommerferien im Kiental. Und das sind schöne Ferien: Erstmals sieht das Mädchen aus St. Gallen Gletscher. Erstmals dürfen die Kinder im Freien übernachten. Aber hinauf zur Blüemlisalphütte darf Ruth nicht mit, weil sie noch zu klein sei. Nur der ältere Bruder kann den Vater hinaufbegleiten. Das Mädchen sagt sich: «Irgendwann hole ich diese Wanderung nach.»
Sie wird fast 60 Jahre alt, bis es so weit ist. Im Sommer 1999 steigt sie mit Freunden zur Blüemlisalphütte hinauf – 2 840 Meter über dem Meeresspiegel. Kaum ist die Hütte erreicht, läutet das Telefon. Dölf ! Übers Firntelefon – Buschtelefon passt in diese Bergwelt nicht so gut – hat er erfahren, dass Frau Bundesrätin Dreifuss soeben heil oben angekommen sei.
Am anderen Morgen steigt die Gruppe Dreifuss wieder ab. Die Bundesrätin so gut sie kann: «Nicht sehr elegant», wie sie selber sagt. Da sieht sie einen einzelnen Berggänger weit unten auf dem Weg hinauf zur Blüemlisalphütte. Der Mann hat einen regelmässigen, schönen und kräftigen Tritt. Sehr elegant. Ogi! Das gegenseitige Hallo ist riesig …
Zurück zur Alpen-Initiative: Sie wird am 20. Februar 1994 überraschend angenommen – mit 52 Prozent Ja-Stimmen. In der Bundesverfassung steht fortan geschrieben, dass der grenzüberschreitende Transitverkehr binnen zehn Jahren auf die Schiene verlagert werden muss. Ein weiterer Ausbau der Alpentransitstrassen ist verboten. Es ist nicht die Abstimmung des Dölf Ogi gewesen. Dem sonst so guten Kommunikator missrät in einer Arena-Sendung des Schweizer Fernsehens der bundesrätliche Auftritt.
Aber, Ironie des Schicksals, letztlich profitiert Ogi vom Ja. Der überraschende Volksentscheid stellt die Weichen für den Ausbau beider Neuen Eisenbahn-Alpentransversalen (NEAT), Gotthard und Lötschberg. Ruth Dreifuss ist beim Lötschberg auf Ogis Seite, als welsche Bundesrätin. Die regionale Dimension des Projekts ist für sie massgebend. Ihr Parteifreund und Finanzminister Otto Stich ist strikt dagegen – aus finanzpolitischen Gründen. Ein erbitterter Streit. Stich spricht in dieser heissen Phase von Ogi manchmal nur noch abschätzig vom «Skilehrer».
Die beiden Sozialdemokraten in der Landesregierung treffen sich regelmässig am Dienstagabend vor den Bundesratssitzungen. Sie gehen alle Traktanden für die Bunderatssitzung am Mittwochmorgen durch. Das sei immer sehr konstruktiv und politisch wichtig gewesen: «Wir haben uns klar und offen gesagt, wo wir bei diesem oder jenem Punkt stehen.» Und sie sind trotz ihrer gemeinsamen politischen Herkunft lange nicht immer gleicher Meinung. Das gegenseitige Vertrauen leidet darunter aber nicht.
Frankreichs Staatspräsident François Mitterrand freut sich bei seinem Besuch in der Schweiz über einen Bergkristall und eine Friedenstaube. 1993
Moritz Leuenberger umarmt im Tunnel seinen ehemaligen Bundesratskollegen Adolf Ogi beim Gotthard-Durchschlag der NEAT. 2010
Otto Stich ist ein hartgesottener Finanzminister und die Bundesräte müssen bei Otti um jeden Rappen kämpfen. Die Etikette «konservativ» lässt Ruth Dreifuss aber nicht gelten. Otto Stich sei beispielsweise in gesellschaftspolitischen Fragen äusserst fortschrittlich gewesen: So habe er sich schon für eine moderne Drogenpolitik eingesetzt, bevor sie in den Bundesrat gewählt worden sei – für die sie sich dann, wie bekannt, als Innenministerin sehr eingesetzt hat.
Bei diesen Dienstags-Besprechungen habe sie sicher ein- oder zweimal zu Otto gesagt: «Hör auf, Dölf zu necken. Du findest es vielleicht lustig, ihn wegen seiner Schulbildung aufzuziehen, aber ihm tut es weh.» Dölf Ogi habe mit seiner «mangelnden Ausbildung» allerdings auch kokettiert, sagt Ruth Dreifuss heute. So habe er hin und wieder den Satz fallen lassen: «Ich habe ja nur die Primarschule in Kandersteg
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