Wüthrich, G: Dölf Ogi: So wa(h)r es!
trifft immer zehn Minuten oder eine Viertelstunde vor Beginn der Sitzung im Bundesratszimmer ein. Dölf will der Erste sein, damit er jede Kollegin und jeden Kollegen per Handschlag begrüssen kann. «Ich habe mit allen ein paar Worte gewechselt und ihnen während des kurzen Gesprächs in die Augen geschaut.» Auf diese Weise habe er immer sofort gewusst: «Mit der oder dem musst du heute besonders sorgfältig umgehen, wie mit einem rohen Ei. Dem musst du heute etwas Zeit lassen.»
Drei Magistraten am Bundesratsausflug im Museo Vela in Ligornetto. 1998
In kleinere Schwierigkeiten gerät Dölf Ogi 1993 als Bundespräsident bei der Durchführung seiner ersten Bundesrats-Schulreise. Ruth Dreifuss hat das besondere «Schuelreisli» noch so gut in Erinnerung, als sei es gestern gewesen.
In der letzten Bundesratssitzung vor der Sommerpause senkt die Schweizer Landesregierung den Milchpreis und beschliesst auch noch andere unpopuläre Massnahmen, die Bauern betreffend: Naturweiden dürfen künftig nicht mehr vor dem 1. Juli gemäht werden. Die Umsetzung des Rothenthurmer-Artikels zum Schutz der Hochmoore schreitet voran. Man beginnt nun, die schützenswerten Moore auszuscheiden.
Am anderen Tag reist der Bundesrat in corpore ins ländliche Emmental, genauer gesagt nach Schangnau. Prächtiges Timing. Was dann kommt, ist heimatfilmreif.
Nachdem alle aus den Helikoptern ausgestiegen sind, werden die sieben Bundesräte ziemlich unsanft in die herbeigebrachten Kutschen «verfrachtet». Die Schangnauer verlieren auf der Fahrt ins Dorf kein Wort. Es herrscht eisiges Schweigen. In einer grossen Scheune ist alles prächtig hergerichtet: Lange, gedeckte Tische, geschmackvoll dekoriert mit Blumen. Man habe sie an die Tische bugsiert, jeden Bundesrat an einen anderen. Frische Kuhmilch wird gereicht. Sobald ein Bundesrat einen Schluck Milch genommen hat, werden die Gläser sofort energisch nachgefüllt.
Und dann bricht der Sturm über die schweizerische Landesregierung herein. «Die Schangnauer haben uns alle Schande gesagt. Wirklich alle Schande», weiss Ruth Dreifuss noch. Sie sei dagesessen und habe vorerst einmal nur zugehört. Zusammen mit Landwirtschaftsminister Jean-Pascal Delamuraz ist sie eine besonders exponierte Zielscheibe des bäuerlichen Zorns. Sie ist schliesslich auch noch Umweltministerin und damit zuständig für Moorlandschaften, von denen es in der Umgebung von Schangnau einige gibt. Damals ist das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) noch in ihrem früheren Departement angesiedelt. Heute gehört das neu geschaffene BAFU, das Bundesamt für Umwelt, zum Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK).
«Wir sind die besseren Wächter der Natur. Ihr müsst uns nicht dreinreden!» Der Zorn der Schangnauer ist gross. Dölf sei zwischen den Tischen hin- und hergegangen und habe versucht, die erhitzten Gemüter wieder etwas zu beruhigen. Ruth Dreifuss verspricht den Schangnauern, nochmals zu kommen, um die Angelegenheit in Ruhe diskutieren zu können. Sie kehrt einige Wochen später wie versprochen ins Emmental zurück, in Bergschuhen, von Augenschein zu Augenschein, von Naturwiese zu Naturwiese, von Moor zu Moor. Und dann trifft man sich in einem Restaurant, um alles auszudiskutieren. Die Bauern waren am meisten erbost, weil das Schutzinventar von Experten aufgestellt wurde, die zur Besichtigung nicht einmal mit den Einwohnern Kontakt aufgenommen hatten. Zu Hause sagt sie ihren Mitarbeitern im BUWAL: «Solche Massnahmen müssen wir künftig viel mehr zusammen mit der Bevölkerung angehen.»
Bundesratsreise im Emmental – Ogi macht gute Miene zum bösen Spiel. 1993
Der Bundesrat mit Joseph Deiss, Ruth Dreifuss, Ruth Metzler-Arnold, Pascal Couchepin, Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz (oben v. l.), Moritz Leuenberger, Bundespräsident Adolf Ogi, Kaspar Villiger (vorne v. l.). 2000
Stich (l.) und Ogi - Für einmal vertragen sie sich auf der Bundesratsreise im neuenburgischen Les Brenets. 1992
Doch in Schangnau geht der Empfang des Bundesrates weiter. Der Jodlerclub Schangnau-Hohgant trägt seine Lieder vor. Die Hände im Hosensack, wie es sich gehört. Gar mancher mag wohl die Faust im Sack gemacht haben. Der Jodlerclub singt gut und schön, wie es sich ebenfalls gehört. Doch die Landesregierung weiss nicht, dass es auf der Kippe gelegen ist, ob man diesem Bundesrat überhaupt noch etwas vortragen soll. Erst später erfahren die Bundesräte, dass nach der
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