Wunder wie diese
für ein verheerender Fehler. Aber woher sollte sie das wissen?«
»Er wurde bewusst von Iago hinters Licht geführt. Wenn jemand so gut darin ist, andere zu täuschen, fällt man einfach auf ihn rein.«
»Er hätte es nicht so hinnehmen sollen. Männer!«
Chris gab auf.
»Du hättest deine eigene Fernsehsendung verdient, Kleine«, sagte er nur.
Verdammt, dachte ich und stellte mir sein Gesicht vor. Genau, ich sollte wirklich eine eigene Fernsehsendung haben. Die würde ich Lebensstil der Blutjungen und Machtlosen nennen. Lebensstil derer, die noch bis vor Kurzem den Mund mit Metall vollhatten. Lebensstil derer, die noch ihre Mutter die Klamotten aussuchen lassen und den letzten Samstagabend lernend bei ihrer besten Freundin verbrachten. Ich bin eine wahre Schande. Die einzigen Höhepunkte in meinem Leben sind die seltenen Momente, in denen mich Chris nach der Arbeit nach Hause begleitet und leicht amüsiert meinen Wortschwall über sich ergehen lässt. Ich muss gestehen, ich habe in letzter Zeit gegen alles und jeden gewettert. Die Schule, die Arbeit, die Respektlosigkeit, mit der mein Dad letztens morgens meiner Mum begegnet ist, die Ungerechtigkeit in der Welt, die schlechten Noten, die ich in Mathe bekomme, Madame Bovary, einer meiner Lehrer, der China wie »Kina« ausspricht.
»Tief Luft holen, Kleine. Du bist aber eine echt zornige junge Frau.«
Aber er hört mir zu.
Einsame Tage – fort mit euch!
Das Land der Träume ist erfüllt mit einem demnächst bevorstehenden gesellschaftlichen Ereignis. Am nächsten Sonntag nach Feierabend sind alle, statt der üblichen Runde im Pub, bei der ich aus den oben bejammerten Gründen so gut wie nie dabei bin, zu einer Party bei Bianca in Rose Bay eingeladen. Ihre Eltern sind im Ausland. Wie mir Chris erzählt hat, ist Biancas Vater Vorsitzender bei einer der großen Banken und ihre Mutter nichts weiter als Hausfrau und Mutter, obwohl Bianca bereits dreiundzwanzig ist. Sie leben zu dritt in einer riesigen Villa am Hafen, mit eigenem Tennisplatz, Swimmingpool und Bootsanleger. Biancas Versagen an der Uni, der Job im Supermarkt und die Woolies-Loser, die sie mit nach Hause bringt, sind anscheinend nur Teil eines größeren Plans der Rebellion gegen ihre Eltern. Ich hab keine Ahnung, worum es dabei geht, aber für mich lüftet sich wenigstens das Geheimnis, wie eine Dreiundzwanzigjährige von einem Teilzeitjob mit einem Stundenlohn von achtzehn Dollar leben und dabei noch so gut wie jeden Abend ausgehen kann: Sie muss sich nicht selbst versorgen.
Bianca hat mich bisher immer angeschaut wie eine Fliege in der Limonade, aber wie alle anderen bin ich zur Party eingeladen.
Nachdem wir Die Glasglocke und Othello hinter uns gebracht haben, fangen wir nächste Woche in der Schule mit Große Erwartungen an. Ich verschlinge das Buch, was mich wundert, weil David Copperfield in mir vor Langeweile den Wunsch aufkommen ließ, meine Hand in einen Mixer zu stecken. Ich kann gut verstehen, dass Pip sich in Estella verliebt hat, als sie noch klein waren. Kinder wissen es eben nicht besser. Aber ich finde es ziemlich entmutigend – und gleichzeitig faszinierend –, dass er auch als Erwachsener immer noch genauso besessen von ihr ist, obwohl sie ihn wirklich abscheulich behandelt. Wachsen wir nicht irgendwann über so etwas hinaus? Sie hat gerade ein absolutes Scheusal geheiratet und Pip ist völlig am Boden zerstört. Ich fühle mit ihm, weil ein Großteil seines Elends in der ganzen Angelegenheit darauf zurückzuführen ist, dass er das Gefühl hatte, niemals richtig um sie kämpfen zu können. Ganz gleich wie sehr er sich zum Gentleman entwickelt hat, für sie wird er immer der ungebildete Rüpel aus der Unterstadt bleiben. Er darf zwar in ihrer Nähe sein, und wenn ihr danach ist, bekommt er hin und wieder ein paar Streicheleinheiten, aber er hat nie eine echte Chance bei ihr.
Genauso wenig wie ich bei Chris. Werde ich immer die Kleine bleiben, die ihren Babyspeck nicht loswird, keine Ahnung hat, was ein Bong ist, und nicht weiß, wie man sich kleidet? Das könnte noch ewig so weitergehen. Was, wenn ich niemals davon loskomme? Was, wenn ich vierzig bin und Chris unter ähnlichen Seelenqualen wie Pip in Eheangelegenheiten beraten muss?
Der Titelheld in Der große Gatsby (steht auf der Literaturliste für nächstes Jahr, aber ich hab es in den Sommerferien schon mal gelesen) war jahrelang in diese Daisy verliebt, auch noch nachdem sie einen anderen geheiratet hat. Vielleicht hat
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