Wunder wie diese
die von ihren Männern abhängig waren. Und dank der zweiten Feminismusbewegung verbringt meine Mutter ihre Tage damit, von straffälligen Jugendlichen angepöbelt zu werden, Jess von der Vorschule abzuholen, einkaufen zu gehen, nach Hause zu kommen und sauber zu machen, Abendessen zuzubereiten, Jess in die Wanne zu setzen, die Wäsche zusammenzulegen, Jess aus der Wanne zu holen, Abendessen zu servieren, das Geschirr wegzuräumen, Jess ins Bett zu bringen und anschließend zusammenzubrechen. Am nächsten Morgen wacht sie auf und das Ganze geht wieder von vorn los.«
Ich hole tief Luft. Chris sieht nachdenklich aus.
»Na ja, vielleicht hast du recht«, sagt er. »Man könnte durchaus den Eindruck gewinnen, dass Frauen wie deine Mum durch den Feminismus verraten und verkauft worden sind oder besser von seinen Auswirkungen. Aber mal im Ernst, glaubst du nicht, dass sie eher vom Patriarchat beschissen werden als vom Feminismus?«
»Keine Ahnung, aber ich weiß, dass sie vor der Frauenbewegung wenigstens nicht alles gleichzeitig hätte erledigen müssen.«
»Nur die Kinder und die Hausarbeit.«
»Ja. Wenn sie in den Fünfzigern gelebt hätte, hätte sie sich einen Kaffee gemacht, eine Paracetamol genommen und in Ruhe ein Mittagsschläfchen halten können, während die Kinder in der Schule waren. Sie hätte Zeit gehabt, die Zeitung zu lesen und im Garten in der Sonne Kaffee zu trinken. Vielleicht sogar Freundinnen zu treffen oder schwimmen zu gehen. Alles, worum sie sich hätte kümmern müssen, war, wie der neuste Staubsauger funktioniert.«
»Nieder mit dem Feminismus!« Chris prostet mir mit seiner Bierflasche zu.
»Nieder mit dem Feminismus!«, proste ich lachend zurück.
»Aber mal ganz im Ernst«, sagt Chris und weist mich auf den Mozzarellafaden an meinem Kinn hin. »Diese Geschichte von der perfekten, immer gut gelaunten Hausfrau wäre doch total daneben, wenn das alles im Leben wäre. Das kann es wohl kaum sein. Lass uns doch nicht die arme Betty für die geschlechtsspezifische Aufteilung bei euch zu Hause verantwortlich machen. Und wenn wir schon mal dabei sind, was für eine Rolle spielt eigentlich dein Dad?«
»Mein Dad.« Ich höre auf zu kauen. »Ich erzähl dir ein anderes Mal von ihm. Ich bin völlig k.o. von all dem …«
»Rumgemecker.«
»Genau.«
»Rumgemecker erster Güte.«
»Was auch immer. Wie steht’s mit dir?«
»Wie soll es mit mir stehen?« Er zieht eine Augenbraue hoch, ganz wie der Held in einem Film Noir.
»Was hasst du?«
»Also, ich hasse… na ja du weißt schon… so Zeug.«
»Zeug? Ich habe dir hier gerade mein Innerstes offengelegt und du hasst ›Zeug‹?«
»Betty Friedan und eine Abneigung gegen das Rauchen entsprechen deinem Innersten?«
»Komm schon. Raus damit.«
»Du erinnerst mich an eine Stechmücke, die über einer hübschen saftigen Ader schwirrt und gerade zur Landung ansetzen, den Saugrüssel hineinbohren und etwas Blut für die Kids saugen will. Aber sie hat keine Ahnung, dass es sich dabei um die Hauptschlagader handelt, und wenn sie dort hineinbohrt, wird sie explodieren durch den Druck des Blutstrahls, der durch ihren Rüssel schießen wird.«
Der leere Pizzateller steht jetzt vor uns auf dem Tisch. Mein Mund brennt wie Feuer von den scharfen Peperoni. Ich nuckle an meinem zweiten Bier, während Chris gerade sein drittes austrinkt. Meine Uhr sagt elf, und das unter der Woche, obwohl ich am nächsten Tag zur Schule muss.
»Holla! Es wird schon Zeit für die Kutsche, Cinderella«, sagt Chris und winkt Rino wegen der Rechnung. »Trink mal schnell aus, Kleine, damit ich dich nach Hause bringen kann.«
»Ich komm schon klar. Ich laufe ja jedes Mal nach der Arbeit alleine nach Hause.«
»Ich kann dich doch um diese Zeit nicht alleine gehen lassen. Du sollst Geleit haben.«
»Also gut.«
Wenn ich an diesen Abend denke, wird mir ganz nostalgisch zumute, dabei ist die Nacht noch nicht mal vorbei.
Draußen ist es frostig kalt – der Winter hält langsam Einzug. Wir gehen durch die dunklen stillen Straßen, unsere Schritte und Stimmen sind das Einzige, was zu hören ist.
»Sind deine Eltern noch wach?«, fragt Chris. »Sollte ich mich auf Fragen gefasst machen wie warum ich ihre tugendhafte Tochter unter der Woche ausführe, wenn sie am nächsten Morgen Schule hat?«
»Mum schläft bestimmt schon. Dad ist vielleicht noch wach, aber der fragt nicht nach. Du musst mich auch nicht bis zur Tür bringen.«
Eine Zeit lang gehen wir schweigend
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