Wunder wie diese
mit einem anderen Bus. Sie wohnt in Maroubra Junction, in der entgegengesetzten Richtung. Neben dem Haltestellenschild steht eine metallene Bank, auf die ich mich manchmal setze, während ich warte. Heute schläft ein Obdachloser ausgestreckt darauf. Seine schwarze Kleidung ist zerknittert, seine Haut und sein langer grauer Zottelbart starr vor Dreck. Er hält beim Schlafen eine braune Papiertüte mit einer Flasche in den Armen. Eine kalte Windböe weht seinen Gestank von Verzweiflung und Krankheit zu mir
herüber. Ich rücke ein paar Schritte ab und trete vor Kälte von einem Fuß auf den anderen.
Später esse ich mit Penny auf dem Rasen zu Mittag, umringt von unserer Clique. Innerhalb der größeren Gruppe waren wir beide von Anfang an eng befreundet.
»Wie geht’s Jamie?«, frage ich sie.
»Ein bisschen besser, glaube ich. Aber er wird noch eine Weile dort bleiben müssen.« Penny zieht die Knie zur Brust und den Saum ihres Faltenrocks bis zu den Knöcheln runter. »Anscheinend müssen wir alle zur ›Familientherapie‹ dorthin. Mum rastet völlig aus, weil sie glaubt, dass sie irgendwie für Jamies Defizit verantwortlich gemacht wird. ›Es geht hier nicht nur um dich‹, sage ich ihr, aber es nützt nichts.«
»Das hast du zu deiner Mum gesagt?«
»Nee«, antwortet sie grinsend. »Aber ich denke es die ganze Zeit.«
Ich wünschte, mir würde darauf etwas einfallen. Ich biete ihr einen Aprikosenriegel an (das Süßeste, was es in der Biokantine unserer Schule gibt), den sie dankbar annimmt. Wir sitzen einen Moment lang schweigend da.
Das First-XV-Rugby-Team der Jungsschule präsentiert sich gerade in der Mitte des Feldes beim Gedrängetraining. Mittwochs ist Rugbytraining am Gedrängesimulatordings angesagt. Nachdem sie sich zuerst einmal davon überzeugt haben, dass sie auch jeder sieht, ziehen sie ihre Aufwärmshow ab: Da werden genüsslich die Oberschenkelmuskeln gedehnt, breite Schultern in ihren Gelenken gedreht, Brust- und Armmuskeln ausgiebig vorgeführt. Der Trainer geht dabei herum, brummt Ermunterungen und empfiehlt Dehnübungen für den Quadrizeps und gegen Leistenzerrungen.
»Bescheuerte Alphamännchen«, brummt Penny.
Chris’ Gejammer darüber, dass Mädchen wie Kathy Jungs wie ihn zum Frühstück vernaschen, hallt mir noch in den Ohren. Diese Jungs vernascht niemand zum Frühstück, das haben sie gar nicht nötig. Niemand könnte ihnen den Rang streitig machen. Nur wenigen Mädchen aus der Elften und Zwölften ist es überhaupt erlaubt, sich ihnen zu nähern, und das auch erst, nachdem sie bestimmte eindeutige Signale empfangen haben. Bei den Partys haben sie Muskelprotze an der Tür platziert, die ungebetene Gäste wieder nach Hause schicken. Keine aus unserer Clique war je auf einer ihrer Partys gewesen. Die Mädchen, die eingeladen werden, sind handverlesen. In meiner Fantasie spielen sich diese Partys in verqualmten Räumen ab mit Fässern voller Bier, Swimmingpools, Parfüm, das sich unter die testosteronschwangere Luft mischt, und Marken-T-Shirts, die sich über verschränkten muskulösen Männerarmen spannen.
Wer ist denn heute alles beim Training? Ich erkenne Ed Kennedy, Steven Harris und Jeremy Richardson. Luke Silburn, Monty Donachy und James Roberts, um nur ein paar von ihnen zu nennen. Es erstaunt mich selbst, dass ich so viele von ihnen beim Namen kenne. Ich habe absolut nichts mit ihnen zu tun. Noch nie habe ich mit einem von ihnen auch nur geredet. Und dennoch scheinen ihre Namen in das Kollektivbewusstsein der Schule eingebrannt zu sein. In den Gängen flüstern sie ihre Namen und in der Mittagspause verbreitet sich auf dem Schulgelände der neuste Tratsch über sie: Wer geht mit wem; wer hat letztes Wochenende eine Party geschmissen; wer war eingeladen und wer erwähnt ganz nebenbei, dabei gewesen zu sein und was auch immer mit wem auch immer gemacht zu haben. Ich weiß sogar, dass Monty Donachys Vorname die Abkürzung von Montague ist. Stell sich das mal einer vor.
Nach dem Aufwärmen fangen die Jungs mit ihrem komischen Gedrängetraining an dem Simulatording an – einem riesigen Metallteil, das die klotzigen Köpfe und Schultern der gegnerischen Mannschaft ersetzt. Ich frage mich, ob es einen richtigen Namen für das Gerät gibt. Sie stellen sich in Formation auf und beugen sich vor, um ihre Position einzunehmen, in mehreren Reihen stehen sie so hintereinander. Die Arme um die Hüften der Mitspieler gelegt und die Köpfe dicht zwischen den Hintern der Spieler vor
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