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Wunder wie diese

Wunder wie diese

Titel: Wunder wie diese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Buzo
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Leute lautstark über Ereignisse, von denen ich keine Ahnung habe, und über Leute, die ich nicht kenne. Ein paar von Lizeys Freunden plaudern ein bisschen mit mir. Das Abendessen besteht aus Brot und Dips. Die meisten trinken Bier, aber ich fülle meinen Plastikbierbecher mit Rotwein aus einem Vier-Liter-Kanister, der auf einer umgedrehten Milchkiste steht. Nachdem ich den halben Becher davon getrunken habe, fühle ich mich schon wesentlich weniger einsam.
    Lizey zeigt mir ihren Ben. Er trägt eine gefütterte Jeansjacke, einen grauen Wollschal und eine Mütze, die etwas von einer übergroßen Kippa hat. Er sieht sehr gut aus und er weiß es. Ich mache mir nichts aus Leuten, die wissen, dass sie gut aussehen: wie dieser schreckliche Scott, der in der Schule immer bei uns sitzt, oder wie Kathy. Am besten geht man ihnen aus dem Weg. Ich schätze mich glücklich, nicht davon abhängig sein zu müssen. Obwohl das nicht unbedingt für andere Abhängigkeiten gilt, denke ich und beschwöre die Wärme von Chris’ Nähe herauf.
    Ich halte durch bis etwa zehn und habe bis dahin eineinhalb Becher Wein intus. Ich finde Lizey in einer kleinen Gruppe mit Ben und zwei anderen Mädchen wieder.
    »Ich geh schlafen.«
    »Ja?« Sie legt den Arm um mich.
    »Ja. Bis…« Mein Blick streift Ben. »… irgendwann dann.«
    Ich putze mir im eiskalten Badezimmer die Zähne mit noch eisigerem Wasser. Meine Zunge ist grotesk lila gefärbt vom roten Tetrapak-Wein. Ich schrubbe sie mit meiner Zahnbürste und spucke lila Zahnpastaschaum aus.
    In Lizeys Zimmer ist es so kalt, dass ich es fast nicht packe, meine körperwarme Kleidung gegen den eiskalten Schlafanzug einzutauschen. Ich bin müde und ziemlich benebelt von dem Wein. Ich streife mir die Klamotten so schnell wie möglich ab, halte die Luft an und ziehe mir den Schlafanzug in einem Rutsch über, knipse das Licht aus und springe rasch unter die Daunendecke.
    Alleine in dem großen Bett, den Blick im Dunkeln zur Decke gerichtet, zieht sich mir mit einem plötzlichen, bohrenden Verlangen nach Chris der Magen zusammen.
    »Chris!«, sage ich laut, als ob er mich hören könnte. Und noch einmal weine ich, diesmal noch viel hemmungsloser, weil niemand in der Nähe ist, der mich hören kann. Auf dem Kissen hat sich ein nasser Fleck gebildet. Ich tausche es gegen das andere aus. Ich glaube, ich schlafe.
    Mein Zug kommt am Sonntag gegen 18 Uhr am Hauptbahnhof an. Ich bin völlig verspannt, dreckig und sehne mich nach einer heißen Dusche. Mum wartet mit Jess an der Hand auf dem Bahnsteig. Mum trägt ihren dunklen weiten Mantel, Jess ihren kleinen blauen Anorak mit dem Fellimitat. Jess hüpft aufgeregt auf und ab und kommt dann auf mich zugerannt. Ich fange sie auf.
    »Oma hat einen Extraschal für Teddy geschickt, weil Winter ist«, sagt sie.
    »Prima!« Ich küsse sie auf ihre Pausbacken und lasse sie wieder runter.
    »Hi Mum!«
    »Hi, mein Schatz«, antwortet Mum und wir umarmen uns, was selten vorkommt. Es fühlt sich verdammt gut an.
    Gelockerte Grundlagen
    Als ich am Dienstagnachmittag ins Land der Träume komme, steht Chris vor dem Dienstplan am Service-Schalter und bindet sich die Fliege um. Ich ändere automatisch meinen Kurs und stelle mich neben ihn.
    »Hallo!«, sage ich und grinse ihn an, wie Maria aus dem Musical The Sound of Music Kapitän von Trapp in der Gartenlaube anlächelte.
    »Miss Hayes«, sagt er und betont jedes Wort. Hinter uns scheinen die Geräusche im Land der Träume zu verebben. »Schön, Sie zu sehen.«
    Chris setzt sonst immer ein gewinnendes Lächeln auf und ist allzeit bereit für geistreiches Geplänkel, aber bisher kam nichts dergleichen. Stattdessen lächelt er nur, weniger strahlend als sonst, aber dafür umso ehrlicher. Es geht mir runter wie Öl.
    Über uns ertönt eine Stimme. »Gehen wir heute noch an unsere Kassen oder stehen wir bloß rum und quatschen?«
    Bianca. Immer dabei, wenn es etwas zu zerstören gibt. Sie hat Chris auf dem Dienstplan an Kasse 2 in der Nähe vom Service-Schalter, wo sie arbeitet, eingeteilt und mich an Kasse 16 ans andere Ende gesetzt. Die Schicht zieht sich wie Kaugummi, ohne Chris nebenan, mit dem man mal quatschen kann. Zwischen den einzelnen Kunden werf ich immer wieder einen Blick ans andere Ende und sehe ihn mit Bianca und Ed plaudern.
    Von vier bis neun Uhr geht meine Fünf-Stunden-Schicht. Ein Schultag hat sechseinhalb Stunden. Also ist eine Schicht wie ein Schultag ohne Pausen, und das nach einem bereits vollen Schultag.

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