Wunder wie diese
ungefähr.«
Sie nickt. Ich strecke ihr die Arme entgegen und sie wirft sich hinein. Ich halte sie fest und atme tief den Duft ihrer Haut und Haare ein.
»Ich lass dir jetzt das Badewasser ein, und während du badest, mach ich uns Abendessen.«
Jess badet gern und ausgiebig und spielt dabei mit ihren Enten und verschiedenen nicht besonders glücklich aussehenden Barbiepuppen alle möglichen Dramen nach. Crystal Barbie, einst prächtig in ihrem Ballkleid aus Polyester und mit Krönchen, ist mittlerweile immer nackt und trägt einen Igelschnitt.
Jess nickt und zieht die Socken aus. Ich will nicht so weit gehen, sie zu bitten, Mum nichts zu sagen, aber ich hoffe trotzdem, sie wird ihr nichts von meinem Ausraster erzählen.
Eine halbe Stunde später sitzen wir nebeneinander vor dem Fernseher, gucken eine von Jess’ DVDs und essen kaltes Huhn und Salat. Das Telefon klingelt. Penny ist dran.
Ich halte es nie lange aus, wütend auf Penny zu sein. Sie ist der Grund, dass ich mich nicht alleine auf der Welt fühle. Wir sind seit der siebten Klasse befreundet und seit der achten beste Freundinnen. Penny steht mir am nächsten und ohne sie an meiner Seite wüsste ich nicht, wo mein Platz auf der Welt wäre. Ohne sie wäre ich so unglücklich und allein wie Holden Caulfield aus Der Fänger im Roggen. Ich fühle mich so was von vor den Kopf gestoßen, dass sie ohne mich zu dieser Party geht, aber ich kann ihr einfach nicht lange böse sein. Die Sache mit Chris ist schon unerträglich genug; Penny brauche ich einfach. Ich muss mir den Weg in unseren sicheren Hafen wieder öffnen.
»Hast du dich wieder beruhigt?«, fragt sie mich.
»Ein bisschen.«
»Mein Dad will sich von meiner Mum trennen«, sagt sie geradeheraus.
»Scheiße! Warum denn?«
»Ich weiß es nicht genau. Sie ist manchmal ganz schön schwer zu ertragen.«
»Ja, mag sein. Hast du sie darüber sprechen gehört?«
»Nein. Er hat es mir im Auto auf dem Weg zur Schule gesagt.«
»Hat er es ihr schon gesagt?«
Sie schweigt einen Moment lang. »Nein. Noch nicht. Und es ist ein schlechter Zeitpunkt, jetzt wo Jamie gerade wieder vom Banksia House zurück ist.«
»Hast du das Gefühl, er meint’s ernst?«
»Scheint so.«
»Wo will er denn hin?«
»Ich weiß es nicht, Amelia!«
Ich kann es einfach nicht fassen. Pennys Mum und Dad sind wie… Ich glaub es einfach nicht.
»Oh Mann. Das tut mir so leid. Ich versteh das nicht; deine Eltern sind doch… du weißt schon, sie waren so…«
»Hmm.«
»Willst du für eine Zeit bei uns wohnen?«
»Nein, ich will lieber… Nein. Aber danke.«
Funkstille
Als ich am nächsten Tag zur Arbeit komme, steht Chris gerade vorm Dienstplan am Service-Schalter. Bianca und Jeremy haben mich entdeckt, bevor er mich sieht.
»Hi«, sage ich und schiebe mich neben ihn.
Er sieht mich kurz an. »Hi«, sagt er, hält mir den Dienstplan hin und geht rasch davon. Bianca und Jeremy kichern oder zumindest kommt es mir so vor. Sie hat mich wieder an Kasse 16 ganz am anderen Ende eingeteilt.
Kein Wort und keine Geste von ihm die gesamte Schicht über.
Bianca holt Chris um 19 Uhr 30 von der Kasse weg, die Einkaufswagen einsammeln. Er kommt ein paar Mal bei mir vorbei, aber würdigt mich keines Blicks.
Jeremy und Bianca haben anscheinend was Wichtiges hinterm Service-Schalter zu besprechen. Kurz darauf schickt sie Jeremy los zu meiner Kasse, unter dem Vorwand, einen Umtauschbon einsammeln zu müssen.
»Was ist denn mit dir und Harvey los?«, fragt er mich unverblümt, als ob es ihn was anginge.
»Nichts«, entgegne ich und verfluche mich gleich darauf dafür, dass ich überhaupt etwas gesagt habe.
»Ignoriert er dich?«
»Er ignoriert mich nicht!« Einfach unglaublich! Dieser Typ hat seit über drei Monaten nicht mehr mit mir gesprochen und er meint, er könne einfach so auftauchen und mit mir über den wundesten aller wunden Punkte reden? Sie wittern die Schwächen anderer, Bianca und ihr Gefolge, so viel steht fest.
Ich klatsche den Umtauschbon auf das Warenband. Er zieht die Augenbraue hoch, steckt ihn ein und schleicht wieder rüber zu Bianca. Arbeitet er eigentlich auch mal?, frage ich mich, als ein Kunde mit einem vollen Einkaufswagen bei mir vorfährt.
Chris spricht bestimmt noch mit mir, bevor die Schicht zu Ende geht. Es wäre das erste Mal, dass er auf der Arbeit nicht mit mir spricht. Er wird vorbeikommen und sich mit mir unterhalten und Biancas Zöglingen beweisen, dass ich immer noch seine Lieblings-Kleine bin.
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