Wunder wie diese
völlig fassungslos – auf der einen Seite irre neugierig, wie Penny da rangekommen ist, und auf der anderen neidisch und beleidigt.
»Wie das denn?« Ich bleibe stehen, sodass sie gezwungen ist, ebenfalls stehen zu bleiben.
»Scotts Schwester geht in die Zwölfte. Sie geht mit einem vom Team. Sie hat dafür gesorgt, dass Scott mit ein paar Freunden eingeladen wird, darunter auch ich.«
»Dann gehst du also mit Scott dahin?«
»Na ja. Seine Schwester fährt und ich sitze mit im Auto.«
»Aber sie sind ein Haufen von Angebern. Erinnerst du dich? Die Alphamännchen und ihre Eroberungen – die weiblichen Trophäen?«
Penny schweigt.
Ich warte darauf, dass sie mich bittet mitzukommen. Sie schweigt weiter.
»Was, wenn ich auch mitwollte?«, frage ich sie spitz.
»Es… Im Auto ist kein Platz mehr«, entgegnet sie lahm.
»Kein Platz mehr frei«, wiederhole ich. »Ach, verpiss dich doch.«
Der Tag geht ohne weitere Zwischenfälle vorüber. Während der Mittagspause rede ich kein Wort mit Penny oder den anderen und gebe vor, für einen Test zu lernen.
Ich weine nicht.
In der Doppelstunde Englisch sehen wir uns Einer flog über das Kuckucksnest an. Ich sitze in der hinteren Reihe und lege den Kopf auf die Arme, untersuche eingehend das graue, körnige Furnier des Tischs drei Zentimeter vor meinen Augen. Ich döse, immer wieder aufschreckend, vor mich hin.
Mrs Cummings sagt nichts, aber als ich wieder zu mir komme, hat sie mich im Visier.
Wie üblich ist die Nachhausefahrt mit dem Bus ein Anschlag auf meine Sinne. Drei Football-Alphamännchen quälen einen winzigen Streber aus der Siebten. Er wehrt sich, die tapfere kleine Seele.
Ich wanke von der Bushaltestelle direkt nach Hause; zur Arbeit muss ich erst wieder morgen Abend.
Als ich zu Hause ankomme, eilt mir Mum entgegen. Sie sagt, sie sei auf dem Weg zur Schule, zu einem Infoabend über den Altersruhestand.
»Im Kühlschrank liegt ein gegrilltes Hühnchen und Zutaten für Salat für dich und Jess. Setz sie noch vor sechs in die Wanne.«
Die Haustür fällt hinter ihr zu, während ich noch in der Küche stehe. Jess sieht im Wohnzimmer Play School. Ich stelle meinen Rucksack auf einem der Stühle neben dem Tisch ab. In meiner Brust macht sich ein stechender Schmerz breit, aber noch immer kommen keine Tränen. Mir fällt auf, dass ich den ganzen Tag noch nichts gegessen habe.
»Melia!«, ruft Jess. »Kann ich eine Tasse Ovomaltine haben?«
Das kleine Fräulein kann noch nicht mal Bitte sagen, denke ich.
»Wie heißt das Zauberwort?«, rufe ich zurück.
»Biiittte!«
»Das kleine Fräulein«, murmele ich und mache ihr eine Tasse Kakao.
Um fünf kommt sie in die Küche, wo ich vor einer leeren Teetasse sitze.
»Der Fernseher ist zu Ende«, sagt sie vorwurfsvoll.
»Hmmm.«
»Kannst du was mit mir spielen?«
»Nein.«
»Ooooh, biiitte!«
»Spiel noch eine Weile allein. Dann ist es Zeit für die Badewanne und danach gibt’s Essen.«
»Ich hab nichts zum Spielen«, schmollt sie.
Da reißt mir der Geduldsfaden.
»HÖR AUF ZU QUENGELN, JESSICA!«, schreie ich.
Sie reißt die kleinen Äuglein auf.
»LASS MICH EINFACH IN RUHE! HAU DOCH MAL AB! HAU AB!« Zum Schluss versagt mir die Stimme. Mein Kopf sackt auf meine Arme auf dem Tisch und ich heule los. Ich spüre ihre kleine Hand auf meinem Arm.
»Melia…«
»HAU AB!«, schreie ich den Tisch an.
Ihre flinken Kinderfüße trappeln aus der Küche, die Treppe hinauf und in ihr Zimmer, wo sie die Tür zuknallt.
Ich weine und weine, bis meine Ärmel durchnässt sind und ich völlig erschöpft bin. Da erst höre ich die kleinen Schluchzer von oben. Ich stehe auf, putze mir die Nase, spritze mir an der Spüle kaltes Wasser ins Gesicht. Nach ein paar tiefen Atemzügen gehe ich nach oben und klopfe bei Jessie an.
»Jess.«
Ich öffne die Tür. Sie sitzt auf dem Bett, ihren Teddy im Arm, der wirklich rührend aussieht mit dem Schal, den Oma ihm gestrickt hat. Ich setze mich neben sie.
»Es tut mir leid, dass ich dich angeschrien habe.«
Sie sagt nichts.
»Es tut mir wirklich leid, dass ich dich angeschrien habe. Ich bin heute ziemlich durcheinander.«
»Warum denn?«
»Einer bei der Arbeit ist ziemlich fies zu mir.«
»Wie Felix?«
Felix ist ein Junge aus Jess’ Kindergarten, der sie öfter mal in den Sandkasten schubst. Ich habe schon angekündigt, mit ihr zum Kindergarten zu gehen und mir diesen Felix mal vorzuknöpfen, aber Mum sagt dann immer, ich solle nicht so reden.
»So
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