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Wunder wie diese

Wunder wie diese

Titel: Wunder wie diese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Buzo
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Schlafsack. Nur widerwillig tausche ich den Schlafanzug gegen eine Jeans und eins der neuen T-Shirts. Mum und Dad sitzen bei einer Tasse Tee in der Küche über ihren Zeitungen. ABC Klassik-Radio wabert durchs Haus. Jess ist anscheinend in ihrem Zimmer und spielt.
    Die Verzweiflung angesichts des anstehenden Tages lähmt mich. Ebenso der Gedanke, dass das Einzige, was ich davon habe, wenn ich ihn überstehe, ein weiterer Tag ohne Chris sein wird. Und danach noch einer. Zieh deine Sneakers an und geh spazieren, versuche ich mich selbst zu ermuntern. Beweg dich, bleib nicht stehen.
    Der Türklopfer klackt ziemlich laut an unsere Haustür und reißt mich aus meiner Versunkenheit.
    »Ich mach auf«, rufe ich und denke an Penny, die bestimmt etwas vergessen hat. Aber als ich auf die Tür zugehe, erkenne ich durch das Verbundglasfenster jemanden, der aussieht wie ein Lieferant mit etwas in der Hand. Ich öffne die Tür.
    Es ist Chris. Er trägt ein verwaschenes T-Shirt und hält eine alte Weinkiste in der Hand. Er sieht ungeduscht aus.
    »Wo zum Teufel warst du gestern Abend?«
    »Ich konnte nicht kommen.«
    »Warum? Du weißt doch, dass ich heute fliege.«
    »Ich weiß, dass du heute fliegst«, pflichte ich ihm sanft bei.
    »Du hast noch nicht mal angerufen!«
    Mum taucht hinter mir im Flur auf.
    »Wer ist da, Amelia?«, ruft sie und beäugt den ungepflegten jungen Mann mit der Kiste.
    »Ein Freund. Alles in Ordnung.«
    Sie zögert einen Moment und geht dann wieder in die Küche.
    »Ich bin bestimmt total beliebt hier«, stellt Chris fest. Etwas an seinem Tonfall verrät mir, dass er weiß, wie sehr er mich verletzt hat.
    »Mmm.« Mir fällt nichts Besseres ein.
    »Hör zu, Kleine«, sagt er. »Männer sind Schweine. Trau keinem von ihnen, ganz gleich, wie aufrichtig sie dir erscheinen mögen.«
    »Ich merk es mir.«
    »Mach das.«
    Ich weine. Kein Heulen oder Schluchzen – aber alles, was sich in mir angestaut hat, drängt unaufhaltsam aus mir heraus.
    »Kleine«, sagt er. »Amelia. Es wäre nicht gut gegangen.«
    »Das weißt du doch gar nicht.«
    »Glaub mir, ich weiß es.«
    »Tust du nicht!«
    Nachdem er bis eben mit dem Gewicht der Kiste gekämpft hat, stellt er sie auf der Treppe ab. Sie scheint voller Notizbücher zu sein.
    »Ich hab dir etwas mitgebracht«, sagt er. »So einiges, um genauer zu sein.«
    »Was ist das? Uniunterlagen?«, schluchze ich.
    »Das sind meine Tagebücher. Von fünfzehn bis jetzt. Lies sie, damit du weißt, dass du nicht alleine bist.«
    Ich starre ihn verblüfft an. Dann die Kiste und wieder ihn.
    »Ich will, dass du darauf aufpasst. Kannst du das für mich tun?«
    Er wartet auf eine Antwort.
    »Ja.« Was soll ich sonst sagen?
    »Weißt du«, sagt er sanft, »du spielst in den letzten eine nicht unerhebliche Rolle.«
    Ich lasse das auf mich wirken und stupse die Kiste vorsichtig mit dem Fuß an.
    »Ich muss los«, sagt er rasch. »Muss noch packen. Pass gut auf dich auf, Kleine. Ich schick dir meine Adresse und so, sobald ich einen festen Wohnsitz habe. Dann können wir uns wieder schreiben.«
    Und dann küsst er mich ungestüm auf die Wange. Er riecht ungewaschen.
    Vorm Haus steht ein weißer Commodore, der alt, aber gepflegt aussieht. Er zieht das Gartentor hinter sich zu, steigt ein und lässt den Motor an.
    »Chris!«
    Er lässt das Fenster runter.
    »Ja?«
    »Rasier dich mal!« Ich reibe die Stelle, wo er mich geküsst hat.
    »Mach ich!«
    Der Commodore fährt los, die Straße hinab, blinkt nach links und verschwindet um die Ecke.
    Ich sehe ungläubig auf die Schatzkiste zu meinen Füßen, hocke mich hin, greife ein beliebiges Notizbuch heraus und blättere darin. Die Seiten sind übersät mit Chris’ Handschrift und langsam weicht die Kälte aus meinem Herzen. Dies ist ein Versöhnungsangebot, soweit es überhaupt angebracht ist, von Versöhnung zu sprechen. Ich fasse mit beiden Händen unter die Kiste und richte mich mühsam damit auf.
    »Schatz?«
    Das kommt von meinem Vater. Man hört Teetassen auf den Untertassen klirren und Stühle scharren. Mein Vater taucht im Türrahmen auf und dann meine Mutter, beide haben sich durch den Raum und das elterliche Kontinuum bewegt, um ihre Besorgnis über ihre mittlere Tochter zu äußern, diejenige, die sich im Niemandsland zwischen den Schutzwällen von Kindheit und Erwachsensein befindet.
    »Alles in Ordnung?«, fragt mein Vater.
    »Ja.« Ich lächle sie an. Ein schwaches Lächeln, aber immerhin. Dann schleppe ich meine Schatzkiste hoch

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