Wunder wie diese
Weihnachten nicht hier sein werde, steht ganz oben auf der Pro-Liste der Gründe dafür, eine Weile ins Ausland zu gehen.
6. Mai
Dads Grillparty zu seinem Geburtstag lief genauso wie erwartet. Onkel Jeff ist mit seiner Tochter Ashley aufgekreuzt. Sie ist zwanzig und studiert im sechsten Semester Kunst und Jura, aber an einer anderen Uni als ich. Zoe und ich haben sie und ihre Geschwister immer mit Argwohn betrachtet – ähnlich wie sie uns. Wieder einmal hat Onkel Jeff bewiesen, dass er ein Problem mit mir hat und nicht mit »meiner Generation«, wie er immer sagt. Zoe und Ashley ließ er in Ruhe, aber auf mich hackte er ein.
»Sankt Christophorus!«, polterte er, doch hinter seiner guten Laune lauerte schon der nächste Angriff. »Wo fängst du denn nächstes Jahr an zu arbeiten?«
Er fragte ganz gezielt danach, da er wusste, dass es die schrecklichste Frage ist, die man einem Soziologieabsolventen stellen kann. Und er genoss es richtig. Als ich nicht sofort darauf reagierte, wandte er sich an meinen Vater und fragte ihn: »Was stellst du dir denn vor, was dein Sohn nächstes Jahr macht, Rob?«
Dad erschien ebenso perplex, wenn nicht sogar beschämt, aber Gott sei Dank kam da gerade Zoe mit einer neuen Runde Bier an. Sie hatte bestimmt gelauscht.
Mums Schwester Sue und Stuart, ihr Mann, kamen mit ihrer elfjährigen Tochter Brianna vorbei. Sie wohnen in der Nähe irgendwelcher Berge – Baulkham Hills, Beaumont Hills, irgend so etwas. Ich weiß nicht, warum, aber Sue liebt es, sich bei derartigen Anlässen mit mir zu unterhalten. Sie steuerte ohne Umschweife auf mich zu und verkündete dabei niemandem bestimmten, dass sie sich jetzt »mit Christopher unterhalten will«. Sue, die gute Seele, hat zwar nichts von Onkel Jeffs bedrohlicher Art, aber sie unterhält sich über einen hinweg und jeder Versuch, etwas zu dem Gespräch beizutragen – das heißt, sie in ihrem Monolog zu unterbrechen –, ist zwecklos. Ich weiß nicht genau, ob es tatsächlich einen Berg-Dialekt gibt, aber ihre Art zu sprechen ist wirklich ungewöhnlich. Diese Art schleicht sich überall in ihre Aussprache ein. Die einzigen Beispiele, die mir gerade einfallen, sind etwa, dass sie Straße wie »Schraße« und Distrikt wie »Dischrikt« ausspricht. Und anstatt, dass sie sagt: »Gestern kam endlich der Mann, der die Waschmaschine reparieren wollte«, sagt sie: »Gestern kommt endlich der Mann, der die Waschmaschine reparieren will.«
Sie erzählte mir von der Europareise, die sie und Stuart zu Beginn des Jahres mit Brianna gemacht haben, und dann noch davon, wie sehr einer der Lehrer ihrer Tochter sie gekränkt hat, als er schon vor Jahren behauptete, dass Brianna unter ADHS leidet. Was sie nicht tut. Ich habe beide Geschichten schon gehört. Aber es macht mir nichts aus, sie mir noch einmal anzuhören, vor allem, wenn ich mir so Onkel Jeff vom Hals halten kann.
Der Grill steht unter dem Garagendach, ein paar Meter abseits von dem Gedränge. Ich dachte, wenn ich das Grillen übernehme, könnte ich mich eine halbe Stunde vor der Plauderei drücken, aber da lag ich völlig daneben. Wie ich ganz allein in Mums Schürze unter dem Dach des Carports stand und die Steaks und Würstchen wendete, hat Onkel Jeff sofort die Gelegenheit ergriffen und mich zu seinem gefundenen Fressen auserkoren.
Schwuppdiwupp kam er mit dem Bier in der einen, dem Klappstuhl in der anderen Hand zu mir an den Grill und richtete sich dort häuslich ein. Solange das Grillgut noch nicht fertig war, war ich seinen Tiraden schutzlos ausgeliefert. Leider wollten ausgerechnet heute fast alle ihr Fleisch durchgebraten; ich saß also besonders lange in der Klemme.
Er saß selig da und mäkelte an meinem Talent (beziehungsweise fehlenden Talent) als Grillmeister herum. Irgendwann mal stand er unvermittelt auf, kippte sein Bier über die Steaks und ruinierte damit Mums allseits geschätzte Marinade.
»Das verleiht ihnen ein bisschen Geschmack, was?«
Ich hielt entsetzt inne und überlegte kurz, was ich darauf sagen könnte, verkniff es mir aber.
Ich war auf der Zielgeraden eben dabei, die Steaks auf den Teller zu laden und peinlich darauf zu achten, welche blutig, halb durch oder gut durchgebraten waren, als er endlich mit dem rausrückte, was er sich bis zuletzt aufgespart hatte:
»Wie sieht’s aus? Hast du inzwischen eine Freundin, Chris?«
»Nein, ich… ich habe keine Freundin.«
»Na ja, das ist ja nicht so schlimm. Nicht jeder Bursche hat eine Freundin, wie man
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