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Wunder

Wunder

Titel: Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R.J. Palacio
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Tränen waren so dick, dass ich kaum was sehen konnte, aber beim Gehen konnte ich sie mir durch die Maske nicht abwischen. Ich suchte nach irgendeiner winzigen Ecke, in der ich verschwinden konnte. Nach einem Loch, in das ich hineinfallen konnte: einem kleinen schwarzen Loch, das mich vom Erdboden verschluckte.

Namen
     
    Rattenjunge. Missgeburt. Monster. Freddy Krueger. E. T. Ekelfresse. Eidechsengesicht. Mutant. Ich kenne die Namen, die sie mir geben. Ich bin auf genug Spielplätzen gewesen, um zu wissen, dass Kinder gemein sein können. Ich weiß, ich weiß, ich weiß.
    Ich landete schließlich auf dem Klo im zweiten Stock. Niemand war dort, weil die erste Stunde angefangen hatte und alle im Unterricht waren. Ich schloss die Tür von meiner Kabine ab, nahm meine Maske ab und heulte einfach – keine Ahnung, wie lange. Dann ging ich zum Büro der Schulschwester und sagte ihr, dass ich Bauchschmerzen hätte, was auch stimmte, denn ich hatte das Gefühl, als hätte mir wer in den Magen getreten. Schwester Molly rief Mom an und sagte mir, ich solle mich auf dem Sofa neben ihrem Schreibtisch hinlegen. Fünfzehn Minuten später stand Mom in der Tür.
    »Schätzchen«, sagte sie und kam zu mir, um mich zu umarmen.
    »Hi«, murmelte ich. Ich wollte nicht, dass sie mir jetzt schon irgendwelche Fragen stellte.
    »Du hast Bauchschmerzen?«, fragte sie und legte mir automatisch die Hand auf die Stirn, um meine Temperatur zu überprüfen.
    »Er sagt, er fühle sich, als müsse er sich übergeben«, sagte Schwester Molly und schaute mich aus sehr netten Augen an.
    »Und Kopfschmerzen hab ich auch«, flüsterte ich.
    »Ich frage mich, ob du was Falsches gegessen hast«, sagte Mom und sah besorgt aus.
    »Es kursiert gerade ein Magenvirus«, sagte Schwester Molly.
    »Ach du liebe Zeit.« Mom zog die Augenbrauen hoch und schüttelte den Kopf. Sie half mir, aufzustehen. »Soll ich ein Taxi rufen, oder schaffst du es, bis nach Hause zu laufen?«
    »Ich kann laufen.«
    »Was für ein tapferer Junge!«, sagte Schwester Molly und tätschelte mir den Rücken, während sie uns zur Tür begleitete. »Wenn er anfangen sollte, sich zu übergeben, oder Fieber bekommt, sollten Sie den Arzt anrufen.«
    »Auf jeden Fall«, sagte Mom und schüttelte Schwester Mollys Hand. »Haben Sie ganz vielen Dank, dass Sie sich um ihn gekümmert haben.«
    »Nichts zu danken«, antwortete Schwester Molly, legte ihre Hand unter mein Kinn und hob mein Gesicht. »Und du passt gut auf dich auf, okay?«
    Ich nickte und murmelte: »Danke schön.« Mom hielt den ganzen Weg nach Hause über ihren Arm um meine Schultern. Ich erzählte ihr nichts von dem, was passiert war, und später, als sie mich fragte, ob ich mich gut genug fühlte, um nach der Schule die Süßes-oder-Saures-Runde zu machen, sagte ich Nein. Das machte ihr Sorgen, da sie wusste, wie gern ich das normalerweise tat.
    Ich hörte, wie sie zu Dad am Telefon sagte: »… Er hat nicht mal genug Energie, um die Süßes-oder-Saures-Runde mitzumachen … Nein, überhaupt kein Fieber … Ja, das mach ich, wenn es ihm bis morgen nicht besser geht … Ich weiß, der Arme … Stell dir nur vor, verpasst Halloween.«
    Ich schaffte es, auch am nächsten Tag, einem Freitag, nicht zur Schule gehen zu müssen. Damit hatte ich das gesamte Wochenende, um über alles nachzudenken. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich nie wieder einen Fuß in die Schule setzen würde.

 
     
     
     
    2
     
    Via
     
     
    Far above the world
    Planet Earth is blue
    And there’s nothing I can do
     
    Von oben aus dem All
    sieht die Erde traurig blau aus
    und ich kann nichts dagegen tun
     
    David Bowie, »Space Oddity«

Ein Flug durch die Galaxie
     
    August ist die Sonne. Mom und Dad und ich sind Planeten, die die Sonne umkreisen. Der Rest unserer Familie und Freunde sind Asteroiden und Kometen, die um die Planeten herumschweben, die die Sonne umkreisen. Der einzige Himmelskörper, der August, die Sonne, nicht umkreist, ist Daisy, und das liegt nur daran, dass sich in ihren kleinen Hundeaugen Augusts Gesicht nicht besonders von dem Gesicht jedes anderen Menschen unterscheidet. Für Daisy sehen unsere Gesichter alle gleich aus, so flach und bleich wie der Mond.
    Ich habe mich daran gewöhnt, wie dieses Universum funktioniert. Es hat mir nie viel ausgemacht, denn ich habe ja nie etwas anderes kennengelernt. Ich habe immer verstanden, dass August etwas Besonderes ist und besondere Bedürfnisse hat. Wenn ich zu laut spielte und er versuchte,

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