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Wunder

Wunder

Titel: Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R.J. Palacio
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Zimmer. Und wie sie dort stand, sah sie aus wie ein Geist. Oder vielleicht sollte ich sagen: wie ein Engel. Ich versuchte, in mein Zimmer zurückzugehen, ohne sie zu stören, aber sie hörte mich und kam zu mir herüber.
    »Ist Auggie okay?«, fragte ich. Ich wusste, dass er manchmal aufwachte, weil er sich an seinem eigenen Speichel verschluckte, wenn er sich versehentlich auf den Rücken drehte.
    »Oh, ihm geht’s gut«, sagte sie und legte ihre Arme um mich. Sie brachte mich in mein Zimmer zurück, deckte mich zu und gab mir einen Gute-Nacht-Kuss. Sie hat mir nie erklärt, was sie vor seiner Tür gemacht hat, und ich habe sie auch nie danach gefragt.
    Manchmal überlege ich, wie viele Nächte sie so verbracht hat. Und dann frage ich mich, ob sie schon jemals so vor meiner Tür gestanden hat.

Frühstück
     
    Kannst du mich heute von der Schule abholen?«, fragte ich am nächsten Morgen, während ich Frischkäse auf meinen Bagel schmierte.
    Mom machte gerade Augusts Lunch (Schmelzkäse auf Vollkornbrot, das weich genug war, dass er es essen konnte), während August am Tisch saß und Haferbrei aß. Dad machte sich fertig, um zur Arbeit zu fahren. Jetzt, wo ich zur High School ging, sollte der Ablauf so sein, dass Dad und ich morgens zusammen die U-Bahn nahmen, was bedeutete, dass er eine Viertelstunde früher losmusste als sonst.
    Ich stieg dann an meiner Haltestelle aus und er fuhr noch weiter. Mom sollte mich dafür nach der Schule mit dem Auto abholen.
    »Ich hatte vor, Mirandas Mutter anzurufen, ob sie dich wieder nach Hause fahren kann«, erwiderte Mom.
    »Nein, Mom«, sagte ich schnell. »Du holst mich ab. Sonst nehm ich einfach die U-Bahn.«
    »Du weißt, dass ich nicht möchte, dass du schon alleine U-Bahn fährst«, sagte sie.
    »Mom, ich bin fünfzehn! Alle in meinem Alter fahren schon alleine U-Bahn!«
    »Sie kann mit der U-Bahn nach Hause fahren«, sagte Dad aus dem Nebenzimmer und rückte sich seine Krawatte zurecht, als er in die Küche trat.
    »Warum kann denn Mirandas Mutter sie nicht einfach wieder mitnehmen?«, hielt Mom dagegen.
    »Sie ist alt genug, um allein U-Bahn zu fahren«, sagte Dad beharrlich.
    Mom schaute uns beide an. »Ist irgendwas los?« Sie richtete ihre Frage nicht direkt an einen von uns.
    »Das wüsstest du, wenn du noch mal zu mir ins Zimmer gekommen wärst«, sagte ich böse, »so wie du es gesagt hattest.«
    »Oh Gott, Via«, entfuhr es Mom, der wohl gerade einfiel, wie sie mich am Abend zuvor versetzt hatte. Sie legte das Messer aus der Hand, mit dem sie Auggies Trauben durchgeteilt hatte (weil sein Gaumen so klein war, bestand immer noch Erstickungsgefahr). »Es tut mir so leid. Ich bin bei Auggie im Zimmer eingeschlafen. Als ich aufwachte, war es schon …«
    »Ich weiß, ich weiß.« Ich nickte gleichgültig.
    Mom kam zu mir herüber, legte ihre Hände auf meine Wangen und hob mein Gesicht, sodass ich sie anschauen musste.
    »Es tut mir wirklich, wirklich leid«, flüsterte sie. Ich merkte, dass sie es so meinte.
    »Ist okay!«, sagte ich.
    »Via …«
    »Mom, es ist alles gut.« Diesmal meinte ich es auch so. Sie sah so sehr nach schlechtem Gewissen aus, dass ich sie nicht länger zappeln lassen wollte.
    Sie küsste und umarmte mich und wandte sich dann wieder den Trauben zu.
    »Ist denn irgendwas los mit Miranda?«, fragte sie.
    »Bloß, dass sie sich aufführt wie eine totale Idiotin«, sagte ich.
    »Miranda ist keine Idiotin!«, warf Auggie ein.
    »Das kann sie aber sein!«, entgegnete ich barsch. »Glaub mir.«
    »Okay, dann hol ich dich ab, kein Problem«, sagte Mom entschieden und schob die halbierten Trauben mit der Schneide des Messers in einen Snack-Beutel. »Das war ja sowieso die ganze Zeit der Plan. Ich hol erst Auggie mit dem Wagen von der Schule ab, und dann holen wir dich ab. Wir sind wahrscheinlich so Viertel vor vier da.«
    »Nein!«, sagte ich hart, noch bevor sie den Satz zu Ende gesprochen hatte.
    »Isabel, sie kann doch die U-Bahn nehmen!«, sagte Dad ungeduldig. »Sie ist doch schon groß. Sie liest Krieg und Frieden, zum Henker noch mal.«
    »Was hat denn Krieg und Frieden damit zu tun?«, gab Mom genervt zurück.
    »Das bedeutet, dass du sie nicht mehr mit dem Auto abzuholen brauchst, als wäre sie ein kleines Mädchen«, sagte Dad streng. »Via, bist du fertig? Hol deine Sachen und dann los.«
    »Ich bin fertig«, sagte ich und setzte mir den Rucksack auf. »Bye, Mom. Bye, Auggie!«
    Ich gab beiden schnell einen Kuss und wandte mich zur

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