Wunder
nicht über den Weg.
31. Oktober
Grans war in der Nacht vor Halloween gestorben. Es ist zwar schon vier Jahre her, aber Ende Oktober ist deshalb für mich immer eine traurige Zeit. Mom geht es genauso, auch wenn sie es nicht immer zugibt. Stattdessen vertieft sie sich darin, Augusts Kostüm fertigzustellen, schließlich wissen wir alle, dass Halloween seine liebste Zeit des Jahres ist.
Dieses Jahr war keine Ausnahme. August wollte unbedingt so eine Star Wars -Figur namens Boba Fett sein, also suchte Mom nach einem Boba-Fett-Kostüm in Augusts Größe, was seltsamerweise überall ausverkauft war. Sie besuchte jeden Online-Store, fand ein paar bei eBay, die für einen unfassbaren Preis angeboten wurden, und kaufte schließlich ein Jango-Fett-Kostüm, aus dem sie dann ein Boba-Fett-Kostüm machte, indem sie es grün anstrich. Ich würde sagen, insgesamt hat Mom zwei Wochen an diesem dämlichen Kostüm gearbeitet. Und, nein, ich werde jetzt nicht darauf herumreiten, dass Mom für mich noch nie ein Kostüm gemacht hat, weil das nun wirklich gar nichts zur Sache tut.
Am Halloween-Morgen wachte ich auf und dachte an Grans, was mich sehr traurig machte und fast zum Weinen brachte. Dad rief dauernd, ich solle mich beeilen und mich anziehen, was mich nur noch mehr aus der Fassung brachte, und plötzlich fing ich an zu heulen. Ich wollte einfach nur zu Hause bleiben.
Also wurde August ausnahmsweise von Dad zur Schule gebracht, und Mom sagte, ich könne zu Hause bleiben, und dann weinten wir eine Weile gemeinsam. Eins wusste ich mit Sicherheit: Sosehr ich Grans auch vermisste, Mom musste sie noch mehr vermissen. All diese Momente, in denen August nach einer Operation um sein Leben kämpfte, all diese panischen Fahrten zur Notaufnahme: Grans war immer für Mom da gewesen. Es fühlte sich gut an, zusammen mit Mom zu weinen. Für uns beide. Irgendwann kam Mom die Idee, wir könnten Ein Gespenst auf Freiersfüßen anschauen, einen unserer liebsten Schwarz-Weiß-Filme. Ich fand auch, dass das eine grandiose Idee war. Ich glaube, ich hätte die Heul-Session wahrscheinlich dazu genutzt, Mom alles darüber zu erzählen, was in der Schule mit Miranda und Ella vor sich ging, aber gerade als wir uns vor den DVD-Player setzten, klingelte das Telefon. Es war die Krankenschwester aus Augusts Schule, die Mom mitteilte, dass August Bauchschmerzen habe und abgeholt werden solle. So viel zum Thema alte Filme und Mutter-Tochter-Bindung.
Mom holte August ab, und kaum hatte er zu Hause einen Fuß über die Türschwelle gesetzt, rannte er auch schon ins Badezimmer und übergab sich. Dann kroch er in sein Bett und zog sich die Decke über den Kopf. Mom maß seine Temperatur, brachte ihm heißen Tee und nahm wieder die »Augusts Mom«-Rolle an. »Vias Mom«, die für eine kurze Zeit zum Vorschein gekommen war, wurde beiseitegestellt. Aber ich hatte Verständnis dafür: August ging es echt nicht gut.
Keiner von uns fragte ihn, warum er sein Scream-Kostüm zur Schule angezogen hatte und nicht das Boba-Fett-Kostüm, das Mom für ihn gemacht hatte. Wenn es Mom ärgerte, dass das Kostüm, an dem sie zwei Wochen gearbeitet hatte, unbenutzt auf den Boden geschmissen worden war, ließ sie es sich nicht anmerken.
Süßes oder Saures
August sagte, er fühle sich nicht gut genug, um später am Nachmittag die Süßes-oder-Saures-Runde zu machen, was sehr traurig war, schließlich wusste ich, wie sehr er das liebte – besonders wenn es draußen schon dunkel war. Auch wenn ich selbst über die Süßes-oder-Saures-Phase lange hinaus war, setzte ich mir meistens auch irgendeine Maske auf, um ihn auf seinem Weg um den Block zu begleiten, und sah ihm zu, wie er, ganz außer sich vor Aufregung, an die Türen der Leute klopfte. Ich wusste, es war der einzige Abend des Jahres, an dem er genau wie jedes andere Kind sein konnte. Niemand wusste, dass er unter der Maske anders war. Für August musste sich das wirklich fantastisch anfühlen.
Um sieben Uhr klopfte ich an diesem Abend an seine Tür.
»Hey«, sagte ich.
»Hey«, erwiderte er. Er spielte nicht an seiner PlayStation und las auch keinen Comic. Er lag bloß auf seinem Bett und schaute zur Decke. Daisy hatte sich wie immer neben ihm auf dem Bett ausgestreckt und ihren Kopf auf seine Beine gelegt. Das Scream-Kostüm lag zerknautscht neben dem Boba-Fett-Kostüm auf dem Boden.
»Wie geht’s deinem Bauch?«, fragte ich und setzte mich neben ihn aufs Bett.
»Mir ist immer noch übel.«
»Und du bist
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