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Wunder

Wunder

Titel: Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R.J. Palacio
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gestellt. »Warum sollten die Leute denn gemein sein?«, fragte er. Es war das erste Mal in seinem Leben, dass ich ihn sarkastisch erlebte. Ich hatte nicht geglaubt, dass er das in sich hatte.

Der Padawan beißt ins Gras
     
    Ich bin mir nicht sicher, wann genau Auggie sich an diesem Abend seinen Padawan-Zopf abgeschnitten hat, und auch nicht, warum mich das so wütend gemacht hat. Ich fand seine Besessenheit mit dem ganzen Star-Wars -Kram schon immer ziemlich nerdhaft, und der Zopf an seinem Hinterkopf mit den kleinen Perlen darin war einfach nur schrecklich. Aber er war immer so stolz auf ihn gewesen, darauf, wie lange er gebraucht hatte, um ihn wachsen zu lassen, darauf, wie er sich selbst die Perlen in einem Bastelladen in Soho ausgesucht hatte. Er und Christopher, sein bester Freund, hatten früher immer wenn sie sich trafen mit Laserschwertern und Star-Wars -Zeug gespielt, und sie hatten beide zur gleichen Zeit damit begonnen, sich ihre Zöpfe wachsen zu lassen. Als sich August an diesem Abend seinen Zopf abschnitt, ohne Begründung, ohne mir vorher etwas davon zu sagen (was überraschend war) – selbst ohne Christopher anzurufen –, war ich einfach so aufgebracht, obwohl ich nicht einmal erklären kann, warum.
    Ich habe gesehen, wie August sich sein Haar vor dem Badezimmerspiegel kämmt. Er bemüht sich akribisch, jedes einzelne Haar in Position zu bringen. Er neigt den Kopf, um sich aus verschiedenen Blickwinkeln anzusehen, als gäbe es irgendeine magische Perspektive in diesem Spiegel, die die Proportionen seines Gesichts verändern könnte.
    Mom klopfte nach dem Abendessen an meine Tür. Sie sah mitgenommen aus, und mir wurde klar, dass dieser Tag nicht nur für mich und Auggie, sondern auch für sie hart gewesen war.
    »Na, willst du mir erzählen, was los ist?«, fragte sie sanft.
    »Nicht jetzt, okay?«, antwortete ich. Ich las. Ich war müde. Vielleicht würde mir später danach sein, ihr von Miranda zu erzählen, aber nicht jetzt.
    »Ich schau noch mal rein, bevor du ins Bett gehst«, sagte sie, und dann kam sie zu mir herüber und küsste mich auf den Kopf.
    »Kann Daisy heute Nacht bei mir schlafen?«
    »Klar, ich bring sie dir später.«
    »Vergiss nicht wiederzukommen«, sagte ich, als sie hinausging.
    »Versprochen.«
    Aber sie kam nicht noch einmal vorbei an diesem Abend. Es war Dad. Er sagte mir, dass Auggie einen schlimmen ersten Tag gehabt hatte und Mom ihm beistand. Er fragte mich, wie mein Tag gelaufen war, und ich sagte ihm, gut. Er meinte, er würde mir das keine Sekunde lang glauben, und ich sagte ihm, dass sich Miranda und Ella wie Vollidioten aufführten. (Ich erwähnte allerdings nicht, dass ich allein mit der U-Bahn nach Hause gefahren war.) Er sagte, nichts würde Freundschaften mehr auf die Probe stellen als die High School, und dann machte er sich darüber lustig, dass ich Krieg und Frieden las. Das meinte er natürlich nicht ernst, schließlich hatte ich schon gehört, wie er vor anderen Leuten damit angab, dass er eine fünfzehnjährige Tochter habe, die Tolstoi liest. Aber er zog mich gern mit der Frage auf, wo ich gerade wäre in dem Buch, in einem Kriegsteil oder einem Friedensteil, und ob irgendwas über Napoleons Tage als Hip-Hop-Tänzer darin vorkäme. Es war sehr albern, aber Dad schaffte es immer, alle zum Lachen zu bringen. Und manchmal braucht man gar nichts anderes, um sich besser zu fühlen.
    »Sei nicht sauer auf Mom«, sagte er, als er sich herunterbeugte, um mir einen Gute-Nacht-Kuss zu geben. »Du weißt, wie viele Sorgen sie sich um Auggie macht.«
    »Ich weiß«, gab ich zu.
    »Soll das Licht an bleiben oder nicht? Es ist schon ziemlich spät«, sagte er und blieb am Lichtschalter stehen.
    »Kannst du zuerst Daisy reinbringen?«
    Zwei Sekunden später kehrte er mit Daisy im Arm zurück und legte sie neben mir aufs Bett.
    »Gute Nacht, Schätzchen«, sagte er und küsste mich auf die Stirn. Er küsste auch Daisy auf die Stirn. »Gute Nacht, Kleines. Träum süß.«

Ein Geist an der Tür
     
    Einmal stand ich mitten in der Nacht auf, weil ich durstig war, und sah Mom vor Auggies Zimmer stehen. Ihre Hand lag auf der Türklinke, und ihre Stirn lehnte an der Tür, die einen Spaltbreit offen stand. Sie ging nicht in sein Zimmer hinein, und sie kam auch nicht heraus: Sie stand nur direkt vor der Tür, als lausche sie auf das Geräusch seines Atems, während er schlief. Das Licht im Flur war aus. Die einzige Helligkeit kam von dem blauen Nachtlicht in Augusts

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