Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott
angefüllt, von Rittern, Bürgern und Bauern in der Tracht einer alten
Zeit. Die Luft war schwer von Hitze und Weihrauch und dem Qualm von vielen
Kerzen.
Eine junge Frau ergriff ihre Hand und
zog sie mit sich zur Seite, um den Zug der Priester und Ministranten
vorbeizulassen, die mit dem heiligen Kelch vom Altar zum Ausgang schritten. Als
nach den Geistlichen auch die Ritter die Kapelle verlassen hatten, zog die
Fremde, als sei dies etwas ganz Selbstverständliches, die Kleine wieder eilig
hinter sich her den Rittern nach und durch einen Gang in die Burg hinein.
»Spute dich!« flüsterte sie Dott zu und
raffte ihr langes Kleid auf, um schneller laufen zu können. Und als Dott an
sich hinunterblickte, entdeckte sie, daß sie selbst ein Kleid anhatte, das ganz
zu dem der Frau neben ihr paßte. Es war mit schöner Goldstickerei geziert und
reichte bis zu ihren Füßen, und sie fühlte, daß sie auch irgend etwas auf dem
Kopf hatte, das mit einem breiten Band unter ihrem Kinn befestigt war.
»Das Kleid jedenfalls ist ganz
wunderschön«, dachte Dott, »ich möchte aber auch wissen, was ich da auf meinem
Kopf habe! Wie schade, daß ich mich nicht im Spiegel sehen kann!«
»Wenn wir nicht vor den anderen im Saal
sind, werden wir nichts zu sehen bekommen!« flüsterte wieder die junge Frau. — »Ach,
was für ein Tag dies ist!«
Die Kleine lief neben ihr her und
fragte sich, was für ein großer Tag das wohl sein mochte.
Kaum hatte die junge Frau sie in einen
Saal gezogen, als auch schon durch alle drei Türen des Saales das Volk
hereinströmte — Ritter, schwertumgürtete, stolze Bauern und reich gekleidete
Bürger. Der Raum war schnell mit Menschen angefüllt, so daß sie hinter dieser Mauer
nichts mehr hätte sehen können, wenn die junge Frau nicht mit ihr auf eine Art
Podium gestiegen wäre.
»Jetzt gib acht!« flüsterte sie der
Kleinen zu, »den Mann, der jetzt hereinkommen wird, darfst du nie in deinem
Leben vergessen!« j
»Was ist das für ein Mann, den ich nie
vergessen soll?« fragte die Kleine neugierig; aber während sie noch sprach, war
ein Ritter mit seinem Gefolge schnell durch den Saal bis zu seinem Sessel am
Ende eines Eichentisches geschritten.
Die junge Frau hielt ihre Augen fest
auf ihn gerichtet, während sie eilig sprach: »Das ist der Mann, der die Wenden
der Prignitz zum Frieden gezwungen hat; er brachte in das arme, verwüstete Land
mutige Männer aus Sachsen und Franken und Friesland und machte aus dieser Sand-
und Wasserwüste eine Wohnstätte für die Menschen. Albrecht der Bär ist das, der
Sachse, der Markgraf dieser unglücklichen Nordmark an der Elbe. — Und nun sieh
dorthin!« sagte sie und wandte den Kopf zur Tür. »Da sind die, denen er dieses
Land übergibt, damit sie ein gesegnetes Stück Erde aus ihm machen!«
Die Kleine blickte gespannt zur Tür,
durch die nun ein Geistlicher mit einem großen Kreuz auf der Brust eintrat,
umgeben von weißgekleideten niedersächsischen Mönchen, gefolgt von mehreren
Priestern und den Schwestern und Brüdern des Beghinen- und Beghardenordens aus
Belgien.
Die geistlichen Herren setzten sich an
den Tisch des Markgrafen, auf dem eine große Karte der Prignitz und einige
Pergamentrollen lagen.
Währenddessen trat einer der Mönche an
ein Lesepult und begann ein Dokument zu verlesen.
»Damit die Kirche zu den Leuten komme«,
begann er, »mit Messe und Unterricht, Seelsorge und Hilfe in allen Nöten an
Gesunden und Kranken, sind dem Erzpriester der Sankt-Katharinen-Kirche in
Lenzen sieben Diakone für das Land ringsum beigeordnet.
Das aber sind die sieben Sprengel,
welche jeder Diakon zu Fuß, zu Roß oder zu Wagen von Lenzen aus betreuen wird,
an jedem Sonntag, Mittwoch und Freitag: Der erste Sprengel ist die Lenzer
Niederwische.« — Der Mönch machte eine Pause, um das Zeichen des Bischofs zum
Weiterlesen zu erwarten.
»Dort wohnen die Friesen und Sachsen«,
flüsterte die junge Frau, während der Bischof dem Markgrafen die Orte und Wege
auf der Karte zeigte. Dott nickte. Sie war ja selbst in einem der
niedersächsischen Häuser gewesen, in Mödlich, in der Lenzer Wische! — »Sieh dir
die blonden Hünen dort gleich neben der Tür an, das sind einige von ihnen. Sie
kämpften gegen die Ströme, welche die Wische in jedem Jahr überfluten.«
»Zu dem zweiten Sprengel gehören die
Siedlungen Moor und Bochen«, fuhr der Mönch fort, als der Bischof aufblickte.
»Der dritte Priester wird Deibow betreuen«, las der Mönch.
Während der
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