Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott
Bischof und der Markgraf
über die Karte gebeugt berieten, flüsterte die junge Frau der Kleinen zu: »Das
ist das Grenzdorf, das den Norden gegen die Polaber sichern muß.«
»Der vierte Priester wird die Messe in
der Wehrkirche zu Mellen und Boberow lesen«, fuhr der Mönch fort.
»Du mußt dir vorstellen, daß noch vor
wenigen Jahren dort die großen Siegesfeste der Wendenstämme gefeiert wurden und
daß sie auf dem Opferstein von Mellen ihre Gefangenen opferten«, sagte die
Frau.
Die Kleine schob die Lippen vor. Bis
jetzt hatte sie alles geglaubt, was die junge Frau erzählte. Jetzt aber sprach
sie von den Dörfern ihrer Heimat, und da wußte sie, daß kein Wende in der
ganzen Umgebung einen Menschen auf dem großen Dolmen von Mellen ‘ opfern
wollte, weder der gute Vater Gnilica noch der Fischer Majewski oder all die
andern, die wendischer Abstammung waren, und sie glaubte auch nicht, daß
irgendeiner der wendischen Vorfahren ihrer Mutter solche Greueltaten begangen
hatte!
»Sargleben gehört zum fünften
Sprengel«, las der Mönch wieder. »Die Umgebung von Dammerow wird der Seelsorge
des sechsten Priesters übergeben.«
»Im Dammrower Eichenwald sind vor
einigen Jahren meine beiden Brüder geopfert worden«, flüsterte die junge Frau,
und Tränen schossen ihr in die Augen.
Die Kleine verzog wieder ihre Lippen.
Sie konnte es nicht leiden, daß diese Frau so schlecht von den Wenden sprach.
Am liebsten wollte sie gar nicht mehr hinhören. Auch ihre eigene liebe Großmutter
war eine wendische Frau aus dem Spreewald, und das wußte Dott gewiß, wie gut
und fromm sie war!
»Neuhaus-Wustrow, nahe Kublank, wird
der siebente Sprengel sein«, las der Mönch weiter.
»Dort werden auch jetzt noch die
schwarzen Geisterrosse der Wenden gesehen«, flüsterte die junge Frau der
Kleinen zu, die den Kopf trotzig abgewandt hatte.
»Für die Kriegsleute des markgräflichen
Vogtes auf der Burg Lenzen verbleibt die alte St.-Georgs-Kapelle im Turm«, las
der Mönch. »Außer der Sankt-Katharinen-Kirche am Markt in Lenzen werden für die
Bürger der Stadt noch an den drei Toren drei Betkapellen erbaut.«
»An diesem Marktplatz wurde vor kaum
hundert Jahren Godeskalk von Männern seines eigenen Volkes, von den Wilzen,
erschlagen. Er war der edelste unter den Wendenfürsten, ein Freund des Reiches
und ein Christ«, sagte die junge Frau. »Sein Priester Eppo aber wurde von ihnen
auf dem Altar in Lenzen geopfert.«
»Ordensbrüder und Schwestern aus
Belgien werden die Armen- und Krankenpflege übernehmen. Vor dem Heidtore in
Lenzen wird das Hospital der Heiligen Gertrud für sieche Frauen stehen und vor
dem Seetore das Sankt-Johannis-Spital für gebrestige Männer.«
»Du kannst dir denken, wie nötig die
Krankenpflege hier ist, das Land ist nach all diesen Kriegen voller Krüppel,
und voll von Elenden, Waisen und Witwen der Wenden und der Siedler aus dem
Westen«, flüsterte die Frau.
»In der bedrohtesten Nordecke des Gaus
wird der Einsiedlerposten der Beghardenbrüder liegen zur Anbetung des Herrn und
für Werke der Barmherzigkeit«, endete der Mönch.
»Für diese Kapelle wird ein silbernes
Glöckchen gestiftet werden«, flüsterte die junge Frau, »das wird die
Gebetsstunde bis über die Grenze weit über das Land ringsum verkünden.«
»Woher weißt du eigentlich so viel über
das Land, wenn du doch selbst sagst, daß du aus Niedersachsen kommst?« fragte
die Kleine mißtrauisch.
»Nun, warum soll ich denn das nicht
wissen, da doch mein Vater des Markgrafen Vogt auf Lenzen ist?« sagte die junge
Frau erstaunt. — »Du kannst froh sein, daß du nicht weißt, wie es hier noch vor
wenigen Jahren gewesen ist!«
»Oh, ich möchte schon wissen, wie es
hier früher war«, erwiderte die Kleine, denn ihr Herz war nicht weniger mutig
als das der Vorfahren ihres Vaters, die einem fränkischen Bauerngeschlecht
angehörten und selbst vor Jahrhunderten aus dem Westen in die Prignitz
eingewandert waren. Auch war ein Trotz in ihr aufgestiegen, da sie in einer
einzigen Stunde so viel Schlechtes über die wendischen Ahnen ihrer Mutter
gehört hatte wie in ihrem ganzen Leben vorher nicht.
»Ja, ich möchte gern wissen, wie man
hier lebte, bevor die Ritter und Bürger und Bauern aus dem Reich in dieses Land
gekommen waren«, sagte sie bestimmt.
Godeskalk
(Im Jahre 1068)
Kaum aber hatte sie den Wunsch
ausgesprochen, da war der Saal von Rauch und Glut erfüllt. Ihre Gedanken
verwirrten sich, so daß sie Vergangenheit und
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