Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott
sie in die Knie warf, und vor
ihren Augen barst der Hobuki, der Rabenberg auf der anderen Seite der Elbe,
mitten auseinander.
Aus dem Innern des Berges aber wuchs
ein Riese empor. Sein langer weißer Bart flatterte im Sturm, seine blauen Augen
blickten drohend über den Strom. Über seinem Kopfe schossen Lichtbündel auf,
und in seiner Hand reckte er ein Kreuz empor, so wie Thor einst seinen Hammer
schwang.
»All min!« rief er mit furchtbarer
Stimme ins Prignitzland.
»Kaiser Karl der Große!« dachte Dott
und duckte sich. Sie wußte aus den Sagen ihrer Heimat sehr wohl, daß der große
Kaiser, der auf Hobuki das erste germanische Kastell gegen die Wenden errichtet
hatte, noch heute im Rabenberg die Wacht über das christliche Abendland hält.
Plötzlich merkte sie, wie sich hinter
ihrem Rücken, im Norden hinter Mödlich, der Himmel erhellte. Mit furchtbarem
Krachen zerbarst der Kiebitzberg bei Moor hinter Sterbitz, dem sagenhaften
wendischen Friedhof der heiligen Rosse, und aus dem Innern des Berges schoß ein
zweiter Riese hervor, ebenso gewaltig wie die drohende Gestalt jenseits der
Elbe.
Sein langes rotes Haar und sein roter
Bart waren wirr und verfilzt, und Moosfetzen hingen darin, als sei er soeben
aus dem Moor gestiegen. Seine goldene Krone glühte und funkelte beim
Aufleuchten der Blitze.
»Der Wendenkönig!« flüsterte Dott und
kroch tiefer in das Reisiggewirr. Ja. Es war alles genau so, wie es in der Sage
von Karl dem Großen und dem Wendenkönig beschrieben wurde.
»Nicht dett!« antwortete der Wende über
den Strom und schwang drohend sein Schwert über das Prignitzland.
»Habe ich die Sarazenen über den Ebro
zurückgeschmettert und die Dänen über die Eider, habe ich die Hungari und
Sorben besiegt und die Sachsen trotz ihres Bundes mit dir dem christlichen
Reiche einverleibt, so wirst du mich auch nicht hindern, das Land jenseits der
Elbe dem christlichen Glauben zu gewinnen! Denn höre, du, der du dich Fürst der
Wölfe und der Grausamen nennst! Ein gewaltiges abendländisches Reich, vom Ebro
bis zum Schwarzen Meere, werde ich aufrichten, mit Bistümern und Kirchen, mit
Kastellen, Handelsplätzen und Klöstern, und es wird dir nicht erlaubt sein,
mein Werk zu zerstören!«
»Habe ich meine Völker vom Dnjepr
hierhergeführt«, warf der Wende dem Kaiser wie im Spott zurück, »habe ich
zweihundert Jahre lang hier im Osten uneingeschränkt geherrscht, so wirst auch
du mir nicht einen Fetzen dieses Landes entreißen!«
»Die Macht der Ungläubigen habe ich
gebrochen am Ebro und an der Donau«, sprach der Kaiser fest. »Den Sichelmond
habe ich zerschmettert in Spanien und hinter der Elbe! Du wirst mich nicht
hindern, das Kreuz bis ins Herz deiner Länder hineinzutragen!«
»Den heiligen Krieg der slawischen
Stämme werde ich gegen dich ausrufen!« schrie nun der Wendenkönig auf, und die
Wölfe zu seinen Füßen heulten und duckten sich zitternd gegen den Boden. »Die
Wilzen und die Liutizen von der Havel, die Obotriten hinter der Elbe, die
Polabrier und Kitziner und die mächtigen Rugianer vom Meere, die Circipaner,
Tolenser und Redarier, alle slawischen Stämme werde ich gegen deine Grenzen
werfen. Die Sorben und die Hungari werde ich zu Hilfe rufen! — Denn höre, du,
den sie den Großen nennen — du wirst vielleicht deine Zeichen bei uns
aufpflanzen — aber zerschmettern, zerschmettern werden wir eure Zeichen!«
schloß er mit grollender Stimme, in der es wie das Klirren von Eisenwaffen
klang.
Wie fernes Donnergrollen verhallten die
Worte, und vor den Augen Dotts zerflossen beide Riesengestalten zu Nebelgewoge,
das sich breit über die Elbe und über die Wiesen wälzte und aus dem der Regen
niederzurieseln begann.
Ganz durchnäßt erwachte die Kleine. »Da
ist wohl ein Gewitter vorübergegangen, während ich schlief«, dachte sie.
Mit einem Schauder aber erkannte sie in
dieser Nacht, welch ein blutiges Ringen hier immer wieder hinüber und herüber
gegangen war, seit Kaiser Karl der Große den ersten Versuch gemacht hatte, die
Erde östlich der Elbe dem christlichen Abendlande zu gewinnen.
Die
Drei-Mondhörner-Stadt
In der Burg
Als es zu regnen begann, hatte der
Reiher seinen Flügel über die kleine Dott gebreitet. Der Regen prasselte aber
nach dem Gewitter so heftig herab, daß auch das starke Gefieder Gurians kein
Schutz war.
Ein übler Gestank stieg aus dem alten
Mulm des Nestes, als er vom Regen durchweicht wurde, und die Kleine fürchtete
zu ersticken.
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