Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott
liegen. Inmitten der Sümpfe und Brüche der Löcknitz lag dort zu
Füßen des Burghügels, wo die Kleine noch vor kurzem die Stadt Lenzen gesehen
hatte, Lunkin, die Mondhörnerstadt, eine wendische Ansiedlung mit Häusern aus
schwerem Balkenwerk, die alle in einem flachgebogenen Halbkreis angeordnet
waren wie die Sichel des Mondes.
Menschenleer und schauerlich schweigend
lag das Land da. In lautloser Stille lauschten die Wenden in die Nacht hinein.
Plötzlich hörten sie ein leichtes Pferdegetrappel,
und sie sahen, wie von Süden her ein schwarzes Roß durch die Wiesen
daherstürmte. Mit dumpfem Hufschlag raste es über die Holzbohlen der Straße der
Mondhörnerstadt. Und als es in fliegender Eile an der Burg vorbei zum
Kestenberg jagte, da drückten die Mütter die Kinder an sich und duckten sich
mit verhüllten Augen hinter die Brustwehr des Ringwalls.
Von Sterbitz her aber eilte
weißschimmernd ein zweites Roß, aus dem Reiche der Polaber kommend, zwischen
den Seen hindurch an der Burg vorbei zum Kestenberg. Noch einmal schimmerte es
blendend im Mondenschein auf und verschwand hinter dem schwarzen Roß unter den
dichten Bäumen.
»Was sind denn das für Rosse?« wagte
Dott endlich die junge Mutter zu fragen, die ihr das Kind aus dem Arm genommen
hatte und zitternd neben ihr stand.
Die blickte sie voll Schrecken an. »Das
darfst du nicht zu laut fragen«, sagte sie und führte Dott rasch zur Seite.
»Denn daran erkenne ich, daß du nicht zu uns gehörst; du mußt wissen, daß bei
uns alle Fremdlinge erschlagen und den Göttern geopfert werden, wenn ein Krieg
bevorsteht!«
Als sie aber in die Augen der Kleinen
blickte, die ernst und ohne Furcht auf sie gerichtet waren, beugte sie sich in
plötzlichem Mitleid nieder und strich mütterlich über ihr Haar.
»Weil du allein bist und mein Kind
gehütet hast«, sagte sie schnell, »so will ich dich nicht verraten; und ich
will dir auch sagen, was hier geschieht.«
Sie wandte die Kleine nach Nordosten,
dem Kestenberg im Dammrower Forst zu.
»Dort drüben liegt unser Heiligtum«,
flüsterte sie, »dort warten die Priester auf die Ankunft der Rosse, die von
Westen aus dem Polaberland und von Süden von den Wilzen abgesandt wurden. Zwei
Speere liegen kreuzweise am Eingang zum Allerheiligsten. Wenn die Rosse die
Speere mit ihrem rechten Vorderfuß zuerst überschreiten, so bedeutet das für
unsern nächsten Kriegszug den Sieg. Hunderttausende von Wendenkriegern stehen
in dieser Stunde an allen Grenzen gerüstet und erwarten den Schicksalsspruch,
denn das Heer des furchtbaren Sachsenkaisers Heinrich rückt heran, und der
Kampf ist unvermeidlich. — Aber nun schweige und halte mich nicht länger auf,
denn ich sehe, daß unser Bote vom Kestenberg zurückkehrt.«
Die Kleine beugte sich über die
Schutzwehr und blickte dem Reiter entgegen, der langsam und mit gesenktem Kopf
über die Ebene ritt. Als er den Kopf auch nicht hob, während er den Abhang zur
Burg hinaufritt, ging ein Seufzen durch die dichtgedrängte Menschenmauer auf
dem Wall.
»Sieg für Kaiser Heinrich!« dachte die
Kleine, und plötzlich ging ein Schauer durch ihr Herz. Sie wußte ja, daß sie
durch ihre Vorfahren nicht nur zu den Germanen, sondern auch zu den Slawen
gehörte. Und nun konnte sie gar nicht mehr entscheiden, was sie empfinden
sollte, Freude über den Sieg oder Traurigkeit über die Niederlage. »Ach, wenn
ich doch von hier fortgelangen könnte!« dachte sie. »Wenn ich doch nur nicht
das Elend dieser Frauen und Kinder erleben muß!« Und sie blickte verzweifelt
auf die junge Frau mit ihrem Kind.
Der Berg
Kaum aber hatte sie diesen Wunsch
ausgesprochen, da war mit einem Schlage alles um sie her verwandelt.
Verschwunden waren die Erdwälle und die
Menschen darauf, und im Schein der Morgendämmerung erkannte sie, daß sie auf
dem Schloßhof der Burg Lenzen stand.
Sie hatte gar keine Zeit, sich weiter
umzusehen, denn dicht vor ihr waren Arbeiter damit beschäftigt, mit Spitzhacke
und Spaten die Erde auszuheben.
Sie hatten noch nicht lange gearbeitet,
als der eine von ihnen innehielt. — »Das ist ja merkwürdig!« sagte er. »Das
geht hier nicht weiter! — Ich stoße auf Holz.«
Bald richtete sich auch der zweite auf.
»Ja, da kann man wirklich nicht weiterkommen. Hier liegt ein Balken
eingegraben.«
In diesem Augenblick trat der
Bauunternehmer heran. Er stieg in das ausgehobene Erdloch hinein und stach mit
dem Spaten zwischen den Balken hindurch in die Erde.
»Ja — da ist
Weitere Kostenlose Bücher