Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott
die Mongolen geschlagen sind! Ale
Dreihunderttausend! Bei Liegnitz!«
In diesem Augenblick aber wurde die
Kellertür aufgerissen, und ein Mann schrie zu ihnen hinunter: »He, ihr da! Was
sitzt ihr denn noch in diesem Loch! Auf! Die Mongolen sind geschlagen! Bei
Liegnitz! Dreihunderttausend von Dreißigtausend! Soeben ist die Herzogin in
Wratislawa eingezogen mit Heinrich, dem toten Herzog...«
»Ich hab’ es doch gesagt! Ich hab’ es
doch gesagt!« schrie nun die kleine Dott. Aber niemand hörte auf sie. Alle waren
aufgesprungen, selbst die Alten und Kranken krochen aus dem Stroh, und alle
schrien: »Die Mongolen sind geschlagen! Herzog Heinrich ist tot! Unsere
Herzogin ist da! Unsere Mutter ist da!« und sie weinten und lachten
durcheinander, als hätten sie den Verstand verloren.
Nun sprangen und kletterten sie die
Treppe hinauf und auf die Straße hinaus. Auf der Straße aber konnte Dott sehen,
daß gar nicht so wenig Menschen in der Stadt zurückgeblieben waren. Aus den
Ruinen und aus der Erde kamen sie herausgekrochen, und alle rannten dem Dom
entgegen, der wie ein Berg über den Trümmern stand. Und plötzlich begannen die
Glocken zu dröhnen, schwer und mächtig rauschte es über das alte, zerstörte
Wratislawa dahin.
Je näher sie dem Dom kamen, um so
größer wurde das Gedränge. »Wenn ich nur noch hineinkomme!« dachte Dott und
kämpfte sich so gut wie sie konnte vorwärts. Sie erstickte fast zwischen den
zerlumpten Kleidern, die nach Brand und Keller rochen — aber sie bohrte sich
immer weiter vor, bis sie in den Dom hinein gelangte.
Auf einem hohen Aufbau, der bis zum
Boden mit Teppichen behängen war, sah Dott eine menschliche Gestalt unter einer
kostbaren Decke liegen. Sie war keinen Augenblick im Zweifel, wer dort oben
lag!
»Heinrich der Fromme!« dachte sie.
»Tot, ausgeplündert, verstümmelt und nackt, so lagen sie auf der Walstatt«
hörte Dott wieder die Worte der alten Krähe.
Mit großen Augen schaute die kleine
Dott auf die Gestalt unter dem Tuch.
»Requiem
aeternam dona eis, Domine«,
begann der Chor der Mönche die alten
lateinischen Gebete der Totenmesse zu singen.
»Herr,
gib ihnen die ewige Ruhe,
und
das ewige Licht leuchte ihnen«,
verstand Dott, denn durch die
Rennefarre konnte sie ja alle Sprachen verstehen.
»Brüder!« hörte sie nun den Priester am
Altar:
»Seht,
ich verkünde euch ein Geheimnis:
Wenn
dieses Sterbliche das Unsterbliche angezogen hat,
dann
erfüllt sich das Wort der Schrift:
Verschlungen
ist der Tod im Siege.«
Dott hörte das Schluchzen des Volkes
und fühlte, wie auch ihr selbst die Tränen über das Gesicht liefen. Sie ahnte,
daß diese Worte nicht nur für den toten Herzog gelesen wurden, sondern für
alle, die mit ihm gefallen waren, ja, für alle Toten der ganzen Welt.
»Wenn ich der heiligen Hedwig nur einen
Augenblick nahe sein könnte,« dachte Dott.
Aber wie sollte sie die Herzogin in
diesem großen Dom finden? Das mochte wohl schwer genug sein! In den hohen,
geschnitzten Kirchenstühlen zu beiden Seiten des Katafalks sah sie die Großen
und Edlen des Landes knien. Welche von ihnen aber war die Herzogin? Im letzten
der Kirchenstühle kniete eine Gestalt in dunkler Kleidung und in einen Schleier
gehüllt.
Voll Scheu blickte Dott zu ihr hin.
»Die heilige Hedwig!« dachte Dott und
drängte sich nahe an die Herzogin, so nahe, daß sie die Worte, die sie
murmelte, verstehen konnte. Es waren aber jene Worte, die später im Nachlaß der
Herzogin aufgefunden wurden:
»Ich danke dir, o mein Gott, weil du
mir einen solchen Sohn gegeben hast, der mir niemals Kummer bereitet hat, der
mich stets in Ehren hielt und der mich liebte«.
Die Stimme der Herzogin wurde immer
leiser.
Und dann war alles dunkel und still.
Das alte Breslau
Die kleine Dott stand wieder in der
Glockenstube des Turmes, genau an der Stelle, an der sie der Kobold verlassen
hatte. Sogar der glitzernde Wasserring von seiner Gerte war noch zu sehen, so
kurze Zeit war vergangen, seit sie durch die Rennefarre in die Tage der
heiligen Hedwig zurückgeführt worden war.
Aber für solche Überlegungen hatte Dott
keine Zeit. Es war etwas ganz anderes, an das sie jetzt denken mußte.
Was würde nur ihre eigene Mutter beten,
wenn sie an Dott dachte! — Würde auch sie beten: Ich danke dir, o mein Gott,
daß du mir ein solches Kind gegeben hast, das mir niemals Kummer...
»O nein, o nein! So nicht! So kann Mutter ganz gewiß nicht
für
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