Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott
mit aller Macht hereinbrach, hatten sie
die Stadt erreicht, und Cornix schoß mit den Krähen in die Glockenstube einer
Kirche hinein.
Eng nebeneinander hockten die Krähen
mit der kleinen Dott auf dem breiten Mauerwerk einer der Schallöffnungen.
Keiner hatte nach den Anstrengungen und Enttäuschungen dieses Tages rechte Lust
zum Sprechen. Schweigend saßen sie da und starrten in den Vorhang aus Hagel,
Regen und Feuer, der ihnen die Aussicht auf die Stadt verdeckte.
Noch nie hatte die Kleine solche
Wassermassen auf einmal vom Himmel stürzen sehen! Durch die undurchdringliche
Nacht rauschte und gurgelte es von oben und unten und von allen Seiten.
Da sprang die Kleine von der Mauer auf
den Boden der Glockenstube. Sie war erschöpft, durchfroren und traurig.
»Wenn es dir nicht zu gering erscheint,
Menschenkind«, sagte Mutter Kra, so könntest du unter meinem Flügel schlafen,
wenn er auch nicht gerade der jüngste und weichste ist!«
»Ach gern, liebe Mutter Kra«, sagte
Dott, »es ist ein sehr guter Flügel und gar nicht gering! — Aber kannst du mir
nicht noch schnell sagen, was für eine Stadt das ist, in der wir sind?«
»Breslau ist das«, sagte Mutter Kra
schläfrig. »Die Stadt zwischen dem Westen und dem Osten. Aber nun laß uns
schlafen, Menschenkind!«
So schlief nun Dott in dieser Nacht
geborgen unter dem Flügel Mutter Kras. Und sie schlief ruhig und fest, bis sie
am Morgen erwachte. Da aber waren die Krähen verschwunden, und sie saß allein
auf dem Boden der Glockenstube.
In der Stadt zwischen West und Ost
Der Regen hatte aufgehört, und der Wind
wehte kalt durch die Glockenstube.
»Brrr!« machte Dott, und dann stand sie
auf. Da sie aber zu klein war, um das Fenstersims zu erreichen, beschloß sie,
sich wieder groß zu machen.
Kaum aber stand sie in ihrer
natürlichen Größe da, als sie ein Geräusch vernahm. »Brrr!« machte es, als
wollte jemand sie verspotten. Es klang aber nicht wie eine menschliche Stimme,
eher wie das Klappern von dürrem Holz. Und als sie sich umwandte, hockte da ein
mageres Hühnchen, dessen Federn vor Nässe tropften. Es schlotterte vor Kälte,
daß ihm der Schnabel zusammenschlug.
»Ist das aber ein armes Hühnchen!«
dachte Dott. Sie wußte nicht recht, was sie von dieser Begegnung halten sollte.
Solch ein langbeiniges, pechschwarzes kleines Hühnchen hatte sie noch niemals
gesehen! Sie kauerte sich aber nach einigem Zögern doch bei ihm nieder, nahm es
auf den Schoß und begann es trockenzureiben. »Wo hast du dich denn nur so naß
gemacht, du armes Hühnchen? Und wie bist du denn eigentlich hier herauf
gekommen?«
Wie sie aber das Hühnchen so an sich
drückte und es rieb und trocknete, da fing es an, sich wohlig zu dehnen und zu
strecken. Immer höher reckte es sich, und plötzlich saß da auf ihrem Schoß
statt des Hühnchens ein Junge, der war mit roten Läppchen und Flicken behängt
und trug ein rotes Mützchen auf dem Kopf.
Die Kleine war so erschrocken, daß sie
sich nicht zu rühren wagte.
»Du brauchst dich nicht zu fürchten«,
begann der Junge, während er sie bedächtig mit seinen grünen Augen musterte.
»Du hast mich ja schön warmgerieben«, fuhr er fort, »aber schließlich ging es
doch nicht an, daß du das ganze Wasser aus mir herausdrücktest«, schloß
er mit einem Lachen.
Die Kleine wurde rot. — »Warum hast du
dich denn so krank gestellt, wenn du es gar nicht bist!« erwiderte sie. »Ich
finde es gar nicht schön von dir, daß du dich über mich lustig machst!« Dann
aber schaute sie ihn genauer an. Er hatte die Gestalt eines Jungen, auch sein
Gesicht war das eines Jungen, aber uralt! Eine Mähne von flachsweißem Haar
wehte ihm um die Schultern, und nun merkte sie auch, wie es über die Kleider
des Jungen träufelte und in silbernen Tropfen über ihr Röckchen rann. »Wer bist
du denn überhaupt?« unterbrach sie sich.
»O, ich habe viele Namen«, lachte er
und glitt von ihren Knien auf den Boden, »aber es ist darum noch nicht sicher,
daß ich dir auch nur einen davon nenne«, fügte er hinzu, indem er aufsprang und
übermütig umhertanzte.
»Ich weiß schon selbst, wer du bist«,
dachte Dott trotzig. »Ein Hodernyx bist du, ein Wassernix«, fügte sie in
Gedanken hinzu, indem sie ihn fest anblickte. Denn das wußte sie von der
Großmutter, wem das Wasser so vom Rocksaum tropfte, der gehörte zu den
Wassergeistern.
»Du kannst mich natürlich auch
Wassernix nennen«, nickte der Kleine, als hätte er ihre
Weitere Kostenlose Bücher