Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
bessere Zeiten. Bedächtig ging Nikolas an der Schrankwand vorbei, bis er eine alte Aufnahme von ihnen drei entdeckte. Rechts stand Martin in kurzer Lederhose, herzlich lachend, sodass sich auf seinen Wangen beinahe die Sonne spiegelte. Links erkannte er sich selbst, wie er eine Grimasse schnitt, und in der Mitte Erik mit seinem immer etwas zu ernsten Ausdruck.
»Die Bomben oder die Operationen?«
»Hm?«, Martin schüttelte den Kopf, als wäre er überrascht, dass noch jemand anderes im Raum stand.
»Du sagtest, dass es derzeit schlimm ist. Die Bomben oder die Operationen?«
Die Blicke der beiden Männer trafen sich.
Er klang traurig. »Die Soldaten, die es bis hierhin schaffen, haben ja noch Glück gehabt. Für sie ist der Krieg beendet. Doch für die Zivilisten, die jede Nacht bei uns eingeliefert werden, für die geht es jetzt erst los.« Er atmete tief und strich mit der Hand gedankenverloren über eine der unzähligen Decken, die über der Garnitur lagen.
»Wir müssen die Menschen mittlerweile auf den Fluren behandeln und es mangelt an allem. Vor einigen Tagen hab ich die Amputation eines Beins ohne Betäubung durchführen müssen, weil wir keine Medikamente mehr hatten.«
Breitbeinig setzte sich Nikolas seinem alten Freund gegenüber und schlug die Hände vor das Gesicht. »Oh Gott, die Schreie kriegst du nie mehr aus den Ohren, oder?«
Er lächelte matt, seine Stimme war brüchig. »Bei manchen dauert es nur wenige Sekunden, dann schaltet der Körper in einen Schutzreflex und sie fallen vor Schmerz in Ohnmacht.« Schnell nahm er das Glas und spülte die Worte mit einem Korn herunter. Er griff das Gefäß so hart, als hielte er sich daran fest. »Wenn man Glück hat.«
Nikolas bemühte sich, das Thema zu wechseln, wusste jedoch nicht, welches bitterer war. »Wie war die Beerdigung?«
Martin zuckte mit den Schultern, ging in die Küche und kam mit einem weiteren Glas und einer neuen Flasche zurück. »Eine schöne Trauerfeier, ohne das nervige Heulen der Sirene für den Fliegeralarm. Wir hatten Glück.«
Während Martin einschenkte, dachte er an die unzähligen Male zurück, wo sie sich mit Selbstgebranntem das Hirn weich gespült hatten.
»Und Hannah?«, wollte er schließlich wissen.
»Ich wollte sie gleich besuchen. Ist bestimmt nicht einfach, wenn man seinen Mann und das Kind beerdigt und dann alleine in das große Haus zurückkehren muss.« Martin sah hoch. »Willst du mitkommen?«
Nikolas beobachtete die klare Flüssigkeit im viel zu großen Glas und schwenkte sie hin und her. »Ich denke schon.«
»Du denkst schon?«, wiederholte Martin lang gezogen. Er macht sich gar nicht die Mühe, seinen Groll zu verbergen.
Es war Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen.
»Es tut mir leid, dass ich einfach abgehauen bin. Aber ich habe es nicht mehr ausgehalten. Ständig hatte ich meinen Vater im Rücken. Es war wie eine Last, die mir auf die Schultern drückte und die Luft zum Atmen nahm. Es war nicht mein Leben, das ich gelebt habe …«
Zischend winkte Martin ab. Nikolas suchte ganz bewusst Augenkontakt mit seinem alten Freund. Doch dessen Blick ging in die Ferne, während er seine wieder einmal Brille hochschob.
»Ich weiß, Nikolas, ich weiß.«
Sie verloren sich im Schweigen. Dem monotonen Dudeln im Hintergrund war nun eine Ansprache des Propagandaministers Goebbels gewichen. Die schrille Stimme durchzog kratzend den Raum, als Martin aufstand und das Gerät ausschaltete. Als wäre er erschöpft, stützte er sich mit einer Hand an der Schrankwand ab und blickte zu Boden.
»Er hätte dich gebraucht, Nikolas. Die letzten Monate waren für uns alle nicht einfach, doch für ihn besonders. Der Wind hat sich gedreht, und das weißt du.« Sein massiger Brustkorb wölbte sich mit jedem Atemzug. »Als wir nur aus der Zeitung mitbekamen, wie viele Erfolge gefeiert wurden, war es einfach zu bejubeln. Polen nach einem Monat, Holland nach drei Tagen. Und überall deutsche Soldaten, die in den Hauptstädten unter dem Hakenkreuzbanner salutieren. Wenn man die Zeitung aufschlägt, hört man keine Bomben und keine Schreie, die sich einem ins Hirn brennen. Man sieht keine toten Wehrmachtssoldaten oder Zivilisten, denen die Gliedmaßen fehlen. Doch jetzt sind es keine Bilder mehr aus der Presse, es sind keine großen Siege mehr. Jetzt hören wir das dunkle Dröhnen der Bomberstaffeln und das schrille Schreien der Sirene, wenn sie kommen.« Martin fuhr sich langsam über seine Haare. »Jetzt hat uns der Krieg
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