Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
völlig in seiner grausigen Faust eingeschlossen. Die ersten Angriffe hast du ja selbst noch mitbekommen.«
Er wusste, worauf sein Freund hinauswollte. »Es ist gefährlich so zu reden, Martin«, sagte Nikolas schroff.
»Aber es ist die Wahrheit. Du kannst das ja nicht wissen«, grollte er, während immer mehr Wut in ihm hochkochte. »Du hast dich ja schön nach Frankreich verpisst. In dein ruhiges Paris, ohne auch nur einen Mucks von dir zu geben. Und wir müssen die Scheiße hier ausbaden. Hast Erik alleine gelassen, obwohl er immer mehr Druck bekam, und das wusstest du!«
Sein Gesicht brannte so rot wie damals, als sie sich kennenlernten.
Nun stand auch Nikolas auf und breitete entschuldigend die Arme aus. »Was willst du damit sagen? Dass ich Schuld an seinem Selbstmord habe?«, rief er laut und ging einen Schritt auf Martin zu. »Du warst hier, du kanntest ihn sogar länger als ich!«
Langsam zogen sich die Mundwinkel des Arztes nach oben und er lachte traurig wie ein Clown, der trotz unendlicher Trauer eine Aufführung geben musste. Seine Stimme zitterte bedrohlich. »Er hat dir vertraut, Nikolas. Hat sich auf dich verlassen. In den letzten Wochen hat er viel über dich geredet. Das heißt, wenn ich ihn mal gesehen habe.« Dann wandelte sich seine Stimme wieder, wurde sanft, wie Nikolas sie kannte. »Der Krieg verändert Menschen, Nikolas. Und Erik hat er verändert. Er war kaum mehr zu Hause, hat nur noch gearbeitet. Hat sich auf dem IG-Farben-Gelände in Leverkusen vergraben und sich um nichts mehr gekümmert außer um seine Forschung. Nur noch die Firma und seine geliebte Chemie. ›Alles streng geheim‹, hat er immer gesagt, wenn man ihn darauf ansprach. Irgendwie war er nicht mehr derselbe. Wirkte fahrig, war nicht bei der Sache. Und irgendwann hat man ihn gar nicht mehr gesehen.«
Endlich konnte er Nikolas wieder in die Augen sehen. »Hätte es dich umgebracht, wenn du hier ein paar Mal angerufen hättest?«, wisperte er mild. Es klang nicht wie ein Vorwurf, sondern wie eine Bitte, die nicht mehr eingelöst werden konnte.
Nikolas schüttelte langsam den Kopf. »Nein, das hätte es nicht.« Dann nahm er beide Gläser, gab Martin seins und hielt den Arm ausgestreckt. »Trinken wir auf Erik.«
Mit gequältem Lächeln auf den Gesichtern der Männer klirrten die Gläser aneinander.
Sie tranken den Korn in wenigen kurzen Zügen. Dann setzten sie sich einander gegenüber.
»Glaubst du daran, dass er sich selbst ermordet hat?«, wollte Nikolas schließlich wissen. »Dass er Marie einfach mitgenommen hat? An die Medikamente und den ganzen Scheiß?«
Martin schnalzte mit der Zunge. »Hab in den letzten Tagen oft darüber nachgedacht. Bei uns drehen viele Menschen durch. Gestandene Männer, die nach dem Fronteinsatz lethargisch auf dem Stuhl sitzen und sich einnässen. Kleine Kinder, die auf einmal nicht mehr reden. Frauen, die sich die Pulsadern aufschneiden, weil sie das Donnern der Bomben nicht mehr aushalten. Aber Erik …« Er musste sich mehrmals räuspern, bevor er weitersprechen konnte. »Das hätte ich nie gedacht. Aber du hättest ihn in den letzten Wochen sehen sollen. Er war einfach nicht mehr derselbe. Irgendwann muss der Druck so groß gewesen sein …« Martin füllte Nikolas und sich selbst nach. »Ich kann es dir nicht sagen, Nikolas. Ich weiß nicht mehr, woran ich glauben soll«, sagte er mit ruhiger Stimme.
Nikolas nickte.
Die beiden tranken schweigend, bis schließlich Martin das Wort ergriff und sich mit flachen Händen auf die Oberschenkel klopfte. »Wenn wir zu Hannah wollen, müssen wir uns beeilen, ist schon weit nach sieben durch.«
Nikolas nahm noch einen Schluck und erhob sich schnell. Gerade als sie die Wohnung verlassen wollten, spürte er Martins Hand auf seiner Schulter ruhen. Schnell wandte er sich um und blickte in die warmen braunen Augen seines Freundes.
»Es ist schön, dass du hier bist, und es ist nicht deine Schuld, dass er tot ist«, sagte er. »Es ist nur dieser verdammte Krieg. Hier ist es … Es ist derzeit einfach zu viel, verstehst du?«
Nikolas verstand. »Ich weiß, sag das aber nicht allzu laut. Ich möchte nicht noch einen guten Freund verlieren.«
Auf der Fahrt zu der Witwe ihres gemeinsamen Jugendfreundes redete Martin wie ein Wasserfall. Mehrmals streckte er den Zeigefinger aus und informierte Nikolas genau, in welcher Nacht welche Gebäude zerstört wurden. Auch wenn er nur ab und zu ein »Aha« oder »Interessant« einwarf, so tat es
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