Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
Platz. Einzig das Esszimmer kündete davon, dass hier vor wenigen Stunden etliche Gäste gespeist hatten. Als er die benutzten Teller sah, erinnerte ihn sein Magen schmerzlich daran, dass er den ganzen Tag nichts gegessen hatte.
»Greift zu!«, bat Hannah ruhig, während sie sich und ihren Gästen einen tiefroten Wein eingoss und das Glas fast bis zur Kante füllte. Sie wirkte erschöpft und kraftlos, als müsste sie sich bemühen, nicht zusammenzubrechen.
»Hannah, ich wollte dir mein herzliches Beileid ausdrücken.«
»Lass das, Nikolas«, unterbrach sie ihn. Sie klang sanft wie Seide und zerbrechlich wie dünnes Glas. »Ihr kanntet ihn um einiges länger als ich. Immerhin haben wir uns erst spät kennengelernt und ich bin … war seine zweite Frau.« Sie lachte bitter über ihren eigenen Versprecher. »Eigentlich sollte ich euch mein Beileid ausdrücken. Ich weiß, wie schwer es für euch sein muss.«
Ihr schmales Gesicht schimmerte im Kerzenschein und das Flackern gab ihren dunklen Augen eine Tiefe, wie er es selten gesehen hatte. Als Erik vor einigen Monaten sagte, er habe auf der Arbeit eine Schönheit kennengelernt und wolle sie bald heiraten, hatten die beiden gelacht. Als er ihnen Hannah jedoch vorstellte, wurde ihnen klar, dass er untertrieben hatte.
»Natürlich sind wir hier. Wenn wir irgendwas für dich tun können, dann sag es uns, bitte.«
Sie starrte auf den Tisch, winkte ab. Ihre Stimme zitterte mit jedem Wort, als wäre sie das letzte Blatt an einem Baum, das droht, vom Wind abgerissen zu werden.
»Die Firma kümmert sich wirklich gut um mich. Mir wird es an nichts mangeln, macht euch deswegen bitte keinen Kopf.«
»Wie geht es seinem Vater?«, erkundigte sich Martin.
Hannah wandte sich an Nikolas. »Du musst wissen, er konnte die Messe nicht selber halten. Erst seine Frau, dann sein einziger Sohn und sein Enkelkind. Er ist eben erst gegangen, wollte die Nacht im Gebet verbringen.«
Nikolas überlegte, wie viel ein Mensch ertragen konnte. Eriks Mutter war gestorben, als Erik und Nikolas sich noch nicht kannten.
Schweigend aßen sie, während Hannah mit großen Schlucken ihren Wein trank und dabei die Bilder an den Wänden betrachtete. Irgendwann stand sie auf und nahm eine neue Fotografie von Marie in die Hände.
»Wisst ihr, ich habe sie geliebt wie mein eigenes Kind«, schluchzte sie schließlich, ohne dass Tränen ihre Wangen benetzten. Sie hatte heute schon genug geweint. Es klang wie eine Entschuldigung. »Ich glaube, dass sie mich als ihre Mutter angesehen hat. Wir haben uns sofort verstanden, als wäre ich es gewesen, die sie geboren hat.«
Hannahs Blick klebte an dem Foto, das die kleine Marie mit Zahnlücke zeigte. Da sie die strohblonden Haare ihres Vaters hatte, wäre Hannah ohne Probleme als ihre leibliche Mutter durchgegangen. Nur das helle Blau Maries Augen verriet etwas anderes.
Die beiden Männer wussten nichts darauf zu erwidern und kauten weiter auf dem Braten herum, den sie herunterschluckten, ohne etwas zu schmecken.
Hannah setzte sich langsam zu ihnen und trank einen weiteren Schluck. »Es ist so … so unverständlich. Ich hätte nie gedacht, dass er … zu so etwas fähig ist«, hauchte sie. »Nicht Erik. Er war immer so stark. Ich verstehe es einfach nicht.«
Sie brauchte lange, um diese Worte zu sagen, und brach immer wieder ab, als sie das Glas zum Mund führte.
»Ich kann es auch nicht fassen.« Nikolas versuchte, mitfühlend zu klingen, und bemerkte dabei, wie der Schmerz erneut in ihm hochkroch. Nur mit Mühe konnte er die aufkommenden Gefühle herunterkämpfen. »Was ist mit ihm passiert, Hannah? Hatte er irgendwelche Probleme?«
Schwer atmend wandte sie sich ab und schüttelte energisch den Kopf. »Eigentlich lief alles bestens. Er wurde vor Kurzem erst befördert. Natürlich musste er in den letzten Wochen viel arbeiten, aber das müssen viele, für den Endsieg.«
Nikolas schluckte mehrmals trocken. Sein Rachen fühlte sich an wie eine Wüste. »Weißt du, woran er gearbeitet hat?«
Ein Lächeln huschte über ihre Lippen ein trauriges, gequältes Lächeln. »So etwas durfte er mir nicht sagen. Selbst hier saß er bis tief in die Nacht über seinen Notizen und hat irgendwelche chemischen Formeln vor sich hingebrabbelt. Einige Tage war er gar nicht zu sehen. Hat bis in die Morgenstunden mit seinem Chef gearbeitet. Anfangs war er völlig euphorisch. Hat ihn sogar mehrmals zum Essen eingeladen. Ein reizender Mann, du hast ihn heute kennengelernt,
Weitere Kostenlose Bücher