Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
heraus.
Einige Sekunden verstreichen und es ist nichts außer dem Lied der Grillen zu hören, die die letzten Stunden des Tages zirpend verabschieden. Dann prusten die Jungen los. Erst nur der größte von ihnen, kurz darauf auch die beiden neben ihm.
»Bist du irre? Was bist denn du für ein Spinner?«, lachen sie und müssen sich die Bäuche halten. »Bist du der neue Pastor von Düsseldorf, oder was?«
Immer noch in Angriffshaltung verzieht der Blondschopf keine Miene.
»Sein Vater ist der Pastor, hier in Oberkassel«, quiekt der dicke Junge neben mir. Auf seinen kurzen, braunen Haaren spiegeln sich die letzten Sonnenstrahlen des Tages und lassen seine Haut noch roter erscheinen, als sie ohnehin schon ist. Mein Mund ist staubtrocken. Innerlich stelle ich mich auf eine richtige Tracht Prügel ein. Doch mit jedem Atemzug weicht die Anspannung aus dem Körper des größeren Jungen, bis er schließlich seine Fäuste sinken lässt. Er dreht sich um und schüttelt den Kopf. »Was für Idioten.«
Es fliegen noch ein paar Steine in unsere Richtung, denen wir leicht ausweichen können. Wir beobachten die drei einige Zeit, bis sie in der flimmernden Luft verschwunden sind.
»Alles klar bei dir?«, fragt er Blondschopf plötzlich und begutachtet meine blutenden Knie.
»Geht schon«, winke ich ab, obwohl ich Mühe habe, meine Tränen zurückzuhalten.
Schnell holt der Dicke ein Stofftaschentuch hervor und beginnt den gröbsten Dreck aus den Wunden zu holen. Jedes Mal, wenn er an meine Haut berührt, zische ich schmerzerfüllt mit offenem Mund.
»Warum habt ihr das gemacht?«
»Drei gegen einen ist unfair«, wiederholt der Blonde, während sein Blick auf den Wunden klebt. Als wäre es für ihn selbstverständlich, geht er nicht näher auf meine Frage ein. Langsam wird mein Herzschlag wieder normal und meine Atmung ruhiger.
»Ähm, danke schön«, ist das Einzige, was mir einfällt.
»Bist gerade hierhergezogen, oder?«, will der Junge mit der Brille wissen. »Haben dich ein paar Mal in der Schule gesehen.«
Ich zucke mit den Schultern, die beiden sind mir noch nicht aufgefallen. »Mein Vater hat in Düsseldorf eine Stelle als Polizist angenommen, deshalb mussten wir umziehen.«
Nickend steht der Junge auf und faltet das blutgetränkte Tuch zusammen. »Am besten du wäschst das mit Wasser aus.«
Ich nicke ein wenig beschämt. Dann kommt mir ein Gedanke. Meine Hand gleitet schnell in die Hosentasche und fingert die Papiertüte hervor.
»Wollt ihr ein paar gebrannte Mandeln?«
Mit einem Lächeln und glänzenden Augen biete ich sie den beiden Jungen an. Doch bei der Flucht müssen sie alle verloren gegangen sein. Der dickliche Junge lässt enttäuscht seinen erwartungsvoll ausgestreckten Arm sinken.
»Hm, nicht schlimm. Vielleicht sehen wir uns die Tage mal in der Schule.«
Erst jetzt spüre ich, dass meine linke Hand immer noch zur Faust geballt ist und den Schatz so gut versteckt, dass meine Fingerknöchel weiß angelaufen sind. Als ich sie öffne, haben die drei Zehnermünzen rote Abdrücke hinterlassen.
»Wartet, wir können noch kurz auf die Kirmes gehen, da kaufe ich eine neue Tüte«, sage ich mit Blick auf die Festwiese.
Ich kann dem dicken Jungen ansehen, wie sehr ihm diese Idee gefällt. Er nickt heftig, dann streckt er seine Hand aus.
»Ich bin Martin und du?«, will er breit grinsend wissen.
Schnell ergreife ich sie und drücke fest zu. Sie fühlt sich warm und feucht an. »Ich heiße Nikolas. Nikolas Brandenburg.«
Der Junge schüttelt meinen ganzen Arm und schiebt mit dem Zeigefinger der anderen Hand die Brille wieder auf die Nase. Dann drehe ich mich zu dem Jungen, der mich einfach so, ohne mich zu kennen, vor einer Prügelei bewahrt hat. Während die hellen Sommersprossen mit den blauen Augen um die Wette funkeln, streckt auch der Blondschopf seine Hand aus. »Erik. Erik Stuckmann.«
Kapitel 4
– Schmerzliches Wiedersehen –
Als Nikolas sich wieder hinters Steuer seines Wagens setzte, hatte die Nacht den Tag völlig verdrängt und über die Stadt ihr schwarzes Tuch geworfen. Mehrmals zog er die Nase hoch und wischte sich die letzten Tränen aus dem Gesicht. Der Besuch am Grab seines Freundes hatte ein ungutes Gefühl in ihm hinterlassen, das mehr und mehr an die Oberfläche seines Verstandes drang. Was hatte Martin gesagt? Selbstmord?
Natürlich, jeder von ihnen hatte gern mal ein Bier getrunken, aber Erik war immer der Vernünftigste von ihnen gewesen. Derjenige, auf dem man
Weitere Kostenlose Bücher