Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
seiner Pranke Nase und Mund der Frau zu, sodass jeder ihrer Laute zu einem Flüstern wurde.
»Shh«, säuselte er ihr dabei ins Ohr und ignorierte ihre verzweifelten Schläge, die gegen seine Schulter polterten. Langsam wurden ihre Beine schwächer und hörten auf, wild herumzurudern. Nach kurzer Zeit sackte sie zusammen. Mit einem Ruck hob er sie hoch und bettete sie zärtlich auf das Bett.
»Sind Sie von allen guten Geistern verlassen?« Nikolas traute sich nicht zu schreien, trotzdem war seine Stimme angestrengt.
»Werd nicht hysterisch. Sie ist nicht tot, macht nur ein kleines Nickerchen. Glaub mir, ich weiß, wie so etwas geht.«
Nikolas ging ein paar Schritte auf die Frau zu und beugte sich über sie. Tatsächlich. Ihr Busen bewegte sich minimal. Ihre Atmung war zwar flach, aber sie war am Leben. Rohn hatte den Moment der Ohnmacht ganz genau abgepasst.
»Die ist in einer Stunde wieder da«, sagte Rohn, als wäre es das Normalste der Welt. Mit großen Schritten ging er zur Tür und spähte hinaus. »Das verschafft uns Zeit. Los, komm. Wenn mein Französisch mich nicht im Stich gelassen hat, sind sie in der fünfte Etage. Zumindest hat diese Corbousiere das als Ausweichtreffpunkt angegeben.«
Er griff sich unter sein Jackett und zog Nikolas’ Dienstwaffe aus dem Gürtel. Er warf ihm die P38 zu und holte noch eine Walther aus dem Bund.
»Voll aufmunitioniert«, erklärte Rohn, ohne ihn anzusehen. »Weiß nicht, wie viele Leute der Résistance da oben sind. Hoffe, dass es ohne großes Geballer geht. Aber falls nicht, solltest du deine Einstellung zum Abfeuern der Knarre jetzt überdenken.«
Das eiserne Metall in Nikolas’ Hand wurde auf einmal unendlich schwer. Als würde er Tonnen wiegen, zog der Lauf der Waffe zu Boden. Erst ein Schlag von Rohn gegen seinen Hinterkopf ließ die Kraft in seinen Körper zurückkehren. Wütend packte er Nikolas am Genick und zog ihn an seinen Haaren zu sich.
»Du willst die Kleine, ich will die Kleine. Nur wenn wir zusammenarbeiten, bekommen wir sie. Also, reiß dich zusammen.«
Leise schlich er die Treppe hoch. Der Hüne wirkte nicht mehr wie ein grobschlächtiger Bauer, für den Nikolas ihn am Anfang gehalten hatte. Seine Bewegungen waren energisch und überlegt, wie die eines Löwen, der seine Beute witterte.
Nikolas lud seine Waffe durch, dann folgte er ihm. Jeder Nerv war bis zum Zerreißen angespannt, als sie die vierte Etage erreichten. War das Etablissement im Erdgeschoss und den übrigen Stockwerken liebevoll eingerichtet, hatten die Zeit und der Krieg hier Spuren hinterlassen. Anscheinend lohnte es sich nicht, die anderen Zimmer auch noch für die gut betuchten Freier herzurichten. Sogar Spinnweben hingen von der Decke oder legten sich wie ein weißer Schleier auf die zerbrochenen Möbelstücke, die im Flur verteilt waren. Die Räume dienten als Abstellkammer und waren zugestellt mit alten Matratzen voller Flecken.
Vorsichtig und mit gezogenen Waffen schlichen sie über den knarrenden, abgenutzten Boden. Schließlich erreichten sie die fünfte Etage. Im spitz zulaufenden Gebäude gab es nur noch drei große Zimmer. Vielleicht waren es früher mal spezielle Räumlichkeiten gewesen für die Reichen und Schönen von Paris. Doch der alte Glanz war verflogen. Hier regierten nur mehr Dreck und der Kot von Mäusen.
Nikolas umfasste den Griff härter, sodass seine Knöchel weiß anliefen. Unter einer der Türen drang ein Lichtschimmer auf den Flur hinaus. Schemenhaft bewegten sich mehrere Schatten und ein leichtes Stimmengewirr wurde in den Korridor getragen. Die Dielen knarrten unter Rohns Gewicht. Einige Sekunden verstrichen atemlos.
Mit angehaltenem Atem umfasste er den Türknauf und hielt die Waffe im Anschlag. Während Nikolas’ Augen ständig in Bewegung waren, ruhten seine auf den Schatten. Seine Lippen zählten wortlos bis null, dann drückte er die Klinke herunter und warf seinen Körper gegen die Tür.
Nikolas’ Herz hämmerte, als er dicht hinter Rohn in den Raum eindrang. Er zählte zwei Männer, die nur einen Wimpernschlag lang zusammenzuckten, ehe sie ihre Waffe erhoben. Ein schwarzer Franzose mit lockigem Haar hatte es geschafft, sich eine deutsche MP 40 zu greifen, und verschanzte sich hinter einem Tisch, während ein kleiner rothaariger mit zwei Handfeuerwaffen ruhig den Feldwebel ins Visier nahm. Rohn schmetterte ihnen auf Französisch mehrere Flüche entgegen. Doch die Männer dachten nicht daran, seine Befehle zu befolgen, und schrien
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